Montag, 18. Januar 2010

WKCR
66 Stunden Jazz wöchentlich

Radio WKCR In New York

Unter den vielen Radiostationen in den USA und in New York hat WKCR auf 89.9 UKW sicher eine Sonderstellung. Neben Berichten über Rentenkontrollen in den USA, Atommülltransporten und die Abhängigkeit von den mexikanischen Öltransporten nimmt der Jazz und die moderne Avantgarde-Musik einen großen Teil des "non-commercial"-Programms ein. Daß die Radiostation ein Teil der Columbia-Universität ist, gibt ihr die Möglichkeit, über ihr Programm frei zu entscheiden, frei von Parteienproporz oder staatlicher Einflußnahme.

Cliff Preiss ist einer der 30 Mitarbeiter der Jazzabteilung; er berichtet im nachfolgenden Interview mit Michael Frohne über die Schwierigkeiten der Station und über die Unterschiede zu anderen, kommerziellen Radios in den USA und staatlichen Radios (öffentlich-rechtlich genannt) bei uns:

"Zu den 66 Stunden, die uns wöchentlich für das Jazzprogramm zur Verfügung stehen, spielen wir zu besonderen Gelegenheiten, wie z. B. Geburtstagen von berühmten Jazzmusikern, sogenannte Mini-Festivals. Von 5 Uhr morgens senden wir ein mehrstündiges Programm mit der Musik eines Musikers. Im Juni war das letzte mit 16 Stunden ununterbrochenem Jimmie Lunceford Big Band Jazz."

"Sind das die bekannten Festivals?"

"Was uns so beliebt gemacht hat, das sind jene Festivalprogramme, bei denen das Gesamtwerk eines Musikers in chronologischer Reihenfolge präsentiert wird. Dazu kommen Interviews mit den Musikern. Das längste Festival, das wir je hatten, war das über Louis Armstrong. Es dauerte 250 Stunden, ca. 11 Tage, wobei es neben dem normalen Programm an jedem Tag ausschließlich Armstrong-Musik mit Interviews gab."

"Werden auch Musiker vom Sender zu Interviews eingeladen?"

"Ja. Ich habe das Steve Lacy-Festival gemacht; 96 Stunden nur Lacy mit Interviews mit Steve, Roswell Rudd, Charhe Rouse. Neben den Schallplatten haben wir auch Privataufnahmen von Mal Waldron gespielt, Duo-Aufnahmen mit Lacy. Außerdem haben wir das Konzert, das bei den Vereinten Nationen als Teil des Anti-Apartheid-Programms stattfand, ausgestrahlt. Jeden Montagabend zwischen 6 und 9 Uhr senden wir Live-Sessions aus verschiedenen Clubs in New York. Wir haben Verträge mit diesen Clubs, um bei ihnen aufnehmen zu können. Und was wir noch machen, und was meiner Meinung nach keine andere Station regelmäßig macht: Jeden Mittwoch kommt ein berühmter Musiker ins Studio und stellt sein eigenes Programm zusammen. Er sucht sich Platten aus unserem Archiv aus unc kommentiert diese. In der letzten Woche war George Russell hier und hat Musik von Miles Davis, Strawinsky, Debussy und Marvin Gaye vorgestellt."

"Verdienen die Leute, die hier arbeiten, Geld?"

"Alle, die hier arbeiten, sind Studenten der Universität oder waren Studenten und verdienen kein Geld! Lediglich in der Sommerferien, wenn die anderen Studenten Ferien haben, wird ein Gehalt für den verkleinerten Stab gezahlt."

"Woher kommt dann das Geld für den Betrieb der Station und für das Material, die Bänder, die Ausrüstung?"

"Dies ist die Radiostation der Universität und wir bekommen daher etwas Geld; leider seit 10 Jahren den gleichen Betrag, obwohl der Dollar 1972 und 1982 zwei Paar Stiefel sind! Neben erhöhten Reparaturkosten, Neuanschaffungen und gestiegener Inflationsrate macht uns die Sendertechnik Schwierigkeiten. Bisher war es nicht nötig, die Hörer um Geld anzubetteln, und mit der Drohung, nicht mehr zu senden, zu argumentieren. Aber wir haben große technische Probleme. Diese werden wir mit dem Fundus ,Technical Difficulties' im August zu lösen versuchen. Wir verkaufen die Programmvorankündigungen der Station, Discographien der Musiker und T-Shirts. Hörer werden aufgefordert, Geld für die Ausrüstung zu spenden; daher stammt auch ein großer Teil der Geräte, die du hier siehst, die jetzt aber zum Teil 12 oder 15 Jahre alt sind. Eines unserer Probleme ist, daß wir nur Mono senden können; eine Umrüstung auf Stereo würde zu viel Geld verschlingen."

"Können Sie einiges über das übrige Programm berichten, das Sie machen?"

"Wir denken, daß wir eine echte Alternative zum kommerziellen Radio bilden, sowohl im Jazz als auch in der Klassik oder auch mit der Ausstrahlung von ethnischer Musik aus allen Volksgruppen, die hier in New York beheimatet sind. Wir senden indische Musik, jeden Samstag 2 Stunden ein Programm mit dem Titel ,Sounds of China' und ca. 16 Stunden Musik und Neuigkeiten aus Mexico, Haiti, Süd- und Mittelamerika. Wir möchten auch diese Länder kulturell repräsentieren, anders als andere Stationen."

"Gilt WKCR als eine Art Sprungbrett für die Ansager oder die Techniker zu den kommerziellen Radios?"

"Nein, obwohl es einige Leute gibt, die nach ihrer Studentenzeit und der unbezahlten Arbeit bei uns den Sprung in die großen Radiostationen geschafft haben."

"Seit wann gibt es WKCR, und hatten Sie am Anfang ungefähr das gleiche Programm oder haben sich da grundlegende Dinge geändert?"

"Das Jazzprogramm ist jetzt der größte Programmteil, obwohl das im Gründungsjahr 1949 nicht so war. Wir waren die erste Universitätsradiostation und haben fast ausschließlich über schulische Vorkommisse berichtet - neben etwas Klassik und leichter Unterhaltungsmusik. Ende der 60er Jahre, in der Zeit der Studentenunruhen, war die Station einer der lnformationspunkte für die Studenten und die wollten keine seichten Unterhaltungs-Schu-bi-du-Schnulzen mehr hören, sondern John Coltrane und Eric Dolphy. Und was die Schallplatten-Situation betrifft: Können Sie sich vorstellen, daß es damals genau zwei Charlie Parker-Scheiben zu kaufen gab? Da war es geradezu revolutionär, daß wir ein Charhe Parker Festival zusammenbrachten! Es machte uns weltbekannt! Möglich war das nur mit den Mega-Kollektionen von einigen Sammlem und unseren guten Verbindungen zu diesen Leuten, die manchmal ihre Schellacks selbst ins Studio brachten und uns mit Argusaugen beim Abspielen überwachten!"

"Wie sieht das Programm der öffentlichen Rundfunkstationen aus?"

"Diese sind abhängig vom Geld, das ihnen der Staat zur Verfügung stellt, und da bleibt aus dem sogenannten ,Arts Fund' immer weniger Geld für den Jazz übrig. Auch eine Folge des Regierungswechsels. Es scheint wichtiger zu sein, über das britische Drama zu berichten und Opernaufnahmen von europäischen Sängern zu bringen, als auf die einzige eigenständige Musik einzugehen, die Amerika je hervorgebracht hat. Sämtliche öffentlichen Stationen haben sich geweigert, hier in New York ein Konzert vom Art Ensemble of Chicago auszustrahlen, obwohl es vom National Public Radio (NPR) veranstaltet worden war. Wir haben das natürlich gerne gesendet."

"Werden in Ihrer Station auch der europäische Jazz und die Avantgarde berücksichtigt?"

"Wir haben ein eigenes Programm am Freitag von 6 bis 9 Uhr abends, in dem Donald Miller europäische lmprovisationsmusik von Peter Brötzmann über Stockhausen zu Derek Bailey und seiner Company vorstellt und kommentiert. WKCR hat außerdem die Koproduktion des ersten Company- Konzerts in den USA übernommen. Auch das Lacy-Festival war eine gute Gelegenheit, europäische Formationen wie das Globe Unity Orchestra kennenzulernen. So wird dieses Spektrum gut abgedeckt. Leider sind Platten von Kagel, Stockhausen sowie die Acoustic-Serie der Deutschen Grammophon oder WergoPlatten in den SchalIplattenläden der USA sehr schwer oder gar nicht zu bekommen. Wir sind auf die Firmen in Europa angewiesen und möchten deshalb einen dringenden Appell an alle Avantgarde-Labels und Eigenlabels richten, uns ihre Platten zuzuschicken.

Unsere Adresse ist: WKCR, Columbia Universitv, 208 Ferris Both Hall NY, NY 10027."

Michael Frohne (veröffentlicht im Jazzpodium Nr.11/XXXI November 1982)

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