JOHN KIRBY
Vor rund 20 Jahren machte er seine letzten Aufnahmen unter eigenem Namen: John Kirby, einer der swingendsten Bassisten der Swing-Era, einer von denen, die das Schlagzeug ueberfluessig erscheinen lassen, weil von dem gezupften Bass aller Rhythmus ausgeht, den ein Musiker braucht.
John Kirby - in der Silvesternacht des Jahres 1908 in Baltimore, Maryland, geboren - spielte unter anderem bei Fletcher Henderson (1930-33 und 35-36), Chick Webb (1933-35) und Lucky Millinder (1936). Zu jener Zeit machte er nicht nur Plattenaufnahmen mit den genannten Bands, sondern auch mit den Chocolate Dandies (1930), Henry Red Allen (1933-35), Coleman Hawkins (1933), Mezz Mezzrow (1934), Taft Jordan (1935), Putney Dandridge (1935-36) und Teddy Wilson (1936-1938). Im Mai 1937 zog er mit Frankie Newton tp, Buster Bailey cl, Pete Brown as, Don Frye p, Teddy Bunn g und Leo Watson dm als Nachfolger der Stuff Smith Gruppe in den beruehmten New Yorker Onyx Club ein. Dort trat bald danach in den Pausen eine Saengerin mit Namen Marietta Williams auf, die dann als Maxine Williams ihre ersten Erfolge buchte und im Herbst 1937 - sie nannte sich nun Maxine Sullivan - die Frau von John Kirby wurde.
Fuer einige Zeit wurde die Band, die seinerzeit noch unter dem Namen von Leo Watson firmierte, im Onyx Club wieder von Stuff Smith abgeloest, hielt aber zu Beginn des Jahres 1938 erneut ihren Einzug in dieses Jazzlokal auf der 52nd Street. Als Trompeter war der 19jaehrige Charlie Shavers dabei, der wie vorher Kirby bei Lucky Millinder gespielt hatte, wo auch Billy Kyle taetig war, der nun Don Frye am Klavier ersetzte. Als spaeter Pete Brown die Band verliess, trat dafuer als Altsaxophonist Russell Procope ein, der wie Buster Bailey, John Kirby schon vom Orchester Fletcher Henderson her kannte. Kirby war inzwischen zum unumstrittenen Leiter dieser Band geworden, die den Namen ,Onyx Club Boys" uebernahm, den vorher bereits die Stuff Smith Band benutzt hatte. Dieses Kirby Sextett konnte sich mit den Swing Combos der damaligen Zeit durchaus messen und hatte darueber hinaus den Vorzug, eine Musik eigenen Gepraeges zu kreieren. Es war John Kirbys Idee, Jazz mit kammermusikalischer Finesse zu bieten. Charlie Shavers war dafuer der ideate Partner Kirbys', das unverwechselbare Zeugnis dafuer sollte der Theme-song der Band werden: Pastel Blue (Blue dilemma), das Shavers beisteuerte.
Als erste rein farbige Band erhielt Kirby ein Engagement in dem feudalen Waldorf Astoria Hotel in New York. Maxine Sullivan aber sollte eine der grossen Saengerinnen der Swingzeit werden, nicht zuletzt deshalb, weil Kirby eine eigene Radiosendung mehrmals woechentlich bestritt, bei der er seine Frau gross herausstellte. Als Gesangstrio der Band fungierten auch noch Charlie Shavers, Russell Procope und Buster Bailey.
Bei einer derart hervorragenden Besetzung. blieb auch der Schallplattenerfolg nicht aus. Unter den ueber 50 Titeln, die John Kirby and his Onyx Club Boys in dieser Besetzung von 1938 bis 1941 machten, wurden viele zu ausgesprochenen Hits. Das war nicht verwunderlich, denn an der Musik dieses Sextetts war alles ausgefeilt: das Unisonospiel, die haarscharfen Einsaetze, die logischen und dennoch spontanen Soli von Buster Bailey, die nuancenreiche Trompetenstimme von Charlie Shavers, vermischt mit der stets swingenden, fast akademischen Zwischenspiele von Billy Kyle, die melodioesen und oft stark bluesbetonten Soli von Russell Procope auf dem Altsaxophon. Allgegenwaertig aber war stets der marschierende Bass John Kirbys, der, im Verein mit dem unnachahmlichen Swing O'Neil Spencer's am Schlagzeug, fuer den Erfolg der Gruppe sorgte. Im Oktober 1941 verliess der zurueckhaltende, oft unterschaetzte O'Neil Spencer, der aber hervorragend war und mit Kirby schon bei Lucky Millinder gespielt hatte, aus gesundheitlichen Gruenden das Sextett und wurde von Specs Powell aus der Edgar Hayes Big Band ersetzt, der vorher in der Combo des Geigers Eddie South am Schlagzeug gesessen hatte.
Neben den erwaehnten Onyx Club Boys Aufnahmen, die unter seinem Namen erschienen, hat Kirby auch mit der ersten Besetzung im Jahre 1937 Platten eingespielt, die von Frank Newton, Buster Bailey oder Willie "The Lion" Smith herausgebracht wurden. Ausserdem wurde er zu vielen weiteren Sessions in die Plattenstudios geholt: zu Aufnahmen mit Johnny Dodds, Benny Goodman, Charlie Barnet, Billie Holiday, Lionel Hampton, dem Saenger Dick Porter und dem englischen Trompeter Nat Gonella (1937 bis 1939). 1940 machte er mit Coleman Hawkins Aufnahmen, denen 1944 weitere folgen sollten. 1941/42 begleitete er mit seinen Onyx Club Boys die von Fats Waller entdeckte Saengerin Una Mae Carlisle, die schon 1938 bei einem England Gastspiel Platten aufgenommen hatte, auf denen sie im Waller-Stil sang und Klavier spielte, und die dann durch eigene Radio Shows in den USA sehr bekannt geworden war. (Sie starb 1956 nach langer, schwerer Krankheit).
Obwohl Kirby 1942 im Metronome Jazz Poll an der Spitze der Bassisten lag und daher bei den Aufnahmen der Metronome All Star Leaders 1942 dabei war, verlor die Band in den folgenden Jahren an Popularitaet und es kam zu haeufigem Musikerwechsel. Der einzige, der Kirby treu blieb, war Buster Bailey, der auch dabei war, als 1945 mit dem Trompeter Emmett Berry, dem Altsaxophonisten George Johnson, dem Tenorsaxophonisten Budd Johnson, dem Pianisten Ram Ramirez und dem Schlagzeuger Bill Beason die Band wieder gut besetzt war, das Interesse dementsprechend etwas aufflackerte und auch Schallplatten gemacht wurden. 1946 waren neben Kirby und Bailey auch Russell Procope und Billy Kyle von den ehemaligen Onyx Club Boys wieder beisammen und machten einige Platten, aber es kam doch nur zu einem matten Abglanz der einstigen Popularitaet. Zudem stand im Vordergrund der Aufnahmen eine Saengerin: Sarah Vaughan. Einige Monate spaeter liess man eine Shirley Moore zu der Band singen, um sie attraktiv zu machen!
1950 kam es erneut zu einem Auftreten der Onyx Club Boys unter John Kirbys Leitung in der Originalbesetzung anlaesslich eines Jazzkonzertes in der New Yorker Carnegie Hall, wobei sich erfuellte, was John Hammond im Jahre 1937 in seiner Pressekritik angeregt hatte, als John Kirby erstmals in den Onyx Club zog: dass naemlich Sid Catlett (anstelle des einfallslosen Leo Watson) als Schlagzeuger dazugenommen werden sollte). In der Carnegie Hall war er im Dezember 1950 dabei, denn O'Neil Spencer konnte man nicht mehr holen: er war bereits 1944 in New York gestorben. Es war das letzte Mal, dass diese Onyx Club Boys spielten, denn es blieb bei diesem einmaligen Konzertauftritt. Kirby zog bald darauf an die Westkueste und starb am 14. Juni 1952 in Hollywood an Diabetes.
Drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes war es dann Maxine Sullivan, die noch einmal den Versuch wagte, die alten Partner John Kirbys zusammenzutrommeln, aber nur Charlie Shavers und natuerlich wieder Buster Bailey waren dann dabei, als im November 1955 Aufnahmen gemacht wurden, bei der Maxine als Saengerin freilich eindeutig dominierte. Hilton Jefferson as, Dick Hyman p, org, Leonard Feather cemb, Milt Hinton b und Louis Barnum dm waren die weiteren Musiker dieser Studioband. 1956 ersetzten bei weiteren Platteneinspielungen Maxine Sullivans Jerome Richardson as, Osie Johnson dm und Wendell Marshall b Jefferson, Barnum und Hinton. Im gleichen Jahr aber gelang es dann doch, Shavers, Bailey, Procope, Kyle und Specs Powell erneut zusammenzubringen und mit Aaron Bell als Bassist wurden in memoriam John Kirby fuenf Stuecke fast in Originalbesetzung der Onyx Club Boys herausgebracht.
Stuecke von John Kirby und den Onyx Club Boys, die besondere Beachtung verdienen, sind auf Brunswick (Golden Swing Years) und Epic (Swing Street) verstreut vertreten. Eigene Alben dieser Kirby Band gibt es auf RCA in der JAZZ STAR SERIE (Nr. 1: John Kirby and his Orchestra 1941-1942, LPM 10016), wobei die genannten Titel mit Una Mae Carlisle enthalten sind, sowie auf Collector's (John Kirby and his Onyx Club Boys, Vol. 1 und 2. 12-3 u. 12-4), die Aufnahmen aus den Jahren 1938 bis 1945 umfassen. Wem es gelingt, die Harmony HL 7121 (Intimate Swing - John Kirby and his Quintet) zu ergattern, bekommt damit weitere Titel in die Hand, die vorwiegend dem klassischen Repertoire entstammen. Die Bezeichnungen "Quintet - Sextet - Orchester - Onyx Club Boys" sind allerdings oftmals verwirrend und scheinen von den Firmen vielfach recht willkuerlich verwendet worden zu sein. Was grundsaetzlich mit dem Namen John Kirby verbunden ist: geschliffene Swingmusik, hervorragender Ensemblegeist, reizvolle Klangfarben, beachtliche Sololeistungen, das sind Aktivposten, die es lohnend machen, sich diese Musik wieder in Erinnerung zu bringen und John Kirby nicht vergessen zu lassen.
Rudolf Hopf †
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