Donnerstag, 7. Januar 2010

Jazz at the Philharmonic in Europa – Von Hot bis Cool

(Artikel für die LP-Box JATP in Europe - erschienen bei Speakers Corner)


- Der Beginn -
Am Sonntagnachmittag, den 2.Juli 1944, wurde in der Jazzgeschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Ort war das Philharmonic Auditorium in Los Angeles, der verantwortliche Organisator hieß Norman Granz und die Hauptdarsteller hörten auf die Namen Illinois Jacquet, J.J. Johnson, Coleman Hawkins, Nat King Cole und Les Paul. Die Idee, in einem klassischen Konzertsaal für ein gemischtrassiges Publikum schwarze und weisse Musiker auf die Bühne zu stellen, war in den 40iger Jahren ein echtes Wagnis mit ungewissem Ausgang. Nur ein kompromissloser, starrköpfiger Mann wie Norman Granz konnte bei den Verhandlungen mit den öffentlichen Behörden erfolgreich sein: Neben der Aufhebung der Rassentrennung im Publikum bot er gleiche Bezahlung für alle Musiker, Garderoben in bester Ausstattung und eine super Betreuung für Solisten und Begleitmusiker gleichermaßen. Zwei Jahre lang fanden die Konzerte in Los Angeles im monatlichen Rhythmus statt. Die Jazzmusiker nicht nur der Westküste spielten gerne nach den rauchigen kleinen Jazzclubs in der grossen mondänen concert hall, alle, Billie Holiday, Charlie Parker, Lester Young oder Dizzy Gillespie, genossen diesen neuen Flair, und auch die soziale Anerkennung, die die Konzerte ihnen gaben.

- Die Tourneen –
Im Sommer 1946 war New York der erste Ort an der Ostküste, wo ein JATP-Konzert stattfand. Auf dem Weg dorthin, rief die Idee von Norman Granz, die Klassik-Konzert-Hallen auch in anderen US-Städten für den Jazz zu öffnen, die Befürworter der strengen Rassentrennung auf den Plan: Örtliche Veranstalter, die diese forderten, bekamen von Granz eine Absage. Getrennte Bühneneingänge für schwarze und weisse Musiker ließ er nicht zu, in Hotels mit Segregation mietete er keine Zimmer für die Musiker. New York war da ein weniger schwieriges Pflaster. Die Carnegie Hall mit ihrem grossen Saal, in der schon am 16.Januar 1938 das legendäre Benny Goodman Konzert stattfand, sollte bis zum Ende der fünfziger Jahre fester Auftrittsort für die weiteren Konzerte sein. Die Musiker waren die Bekanntesten jener Jahre: Roy Eldridge, Flip Phillips, Coleman Hawkins, Charlie Parker, Ella Fitzgerald und der sensationelle, immer lächelnde und immer hungrige junge Mann, den Norman Granz aus Kanada importierte und der allen Pianisten durch seine überragende Technik und Schnelligkeit das Fürchten lehrte: Oscar Peterson. In den USA hatten die JATP-Konzerten in den USA ihren künstlerischen und kommerziellen Höhepunkt erreicht. Diesen Bekanntheitsgrad nutzte Norman Granz zum Ausbau seiner Konzertagentur und zur Gründung eines neuen Schallplattenlabels mit Namen Verve. Teil-Mitschnitte der Konzerte waren schon in den 40iger Jahren als 78rpm erschienen, wobei die langen Titel oft auf mehrere Seiten der Clef, Norgran und Mercury Schellacks verteilt werden mussten. Jetzt boten die 10inch und dann die 12inch LP’s den Jazzfans in aller Welt die Chance, die Improvisationen ihrer Stars ohne lästiges Plattenwenden zu geniessen.

Granz begann auch, die Musiker weltweit auf Konzerttourneen zu schicken: Kanada, Australien, Japan und Europa hatten ja ebenfalls Philharmonie Hallen. Bis zu sieben Monaten waren die Musiker unterwegs, teilweise spielten sie zwei Konzerten an einem Tag. 1957 stoppte Granz die JATP-Konzerte in den USA, die Konzerte in Japan und vor allem in Europa fanden weiter statt. Der Hunger der Fans nach der ersten Generation mit Lester Young, Ella und Oscar Peterson auch die neuen Avangardisten Miles Davis, Stan Getz und John Coltrane zu sehen und zu hören war grenzenlos. Der Konzertbus startete meist in Schweden oder Dänemark und führte über Deutschland, Holland, Belgien nach Paris, um in Lausanne, Zürich oder Mailand zu landen.
Seine Liebe zu Europa und die Bewunderung für Pablo Picasso veranlassten Norman Granz 1959, ein Chateau in der Schweiz zu kaufen und für immer dort zu leben. Seinem gefassten Vorsatz: „Niemals wieder JATP! Ich mache zwar Profit, aber es ist zu viel Arbeit und for allem zu viel Ärger“ blieb er für die nächsten Jahre treu.
In der Zusammenarbeit mit dem Organisator Claude Nobs für das Montreux Jazz Festival 1975 weckte Norman Granz die alten Geister zu neuem Leben: Ella, Count Basie, Milt Jackson und Dizzy Gillespie trafen sich dort zu neuen Jam Sessions; erweitert wurde der Konzertreigen durch alte und junge, schwarze und weisse, bekannte und damals weniger bekannte Musiker: Mary Lou Williams, Tommy Flanagan, Benny Carter und Ray Bryant. Die Abschlußtournee fand 1983 in Japan statt – u.a. Ella Fitzgerald und Oscar Peterson sind so auf Norman Granz letztem Label Pablo zu hören.

- JATP in der Kritik –

Bei allem Lob, welches die Konzertserien weltweit von Hörern und Sehern, von Freizeit- und Profi-Journalisten erfuhren, gibt es doch eine Reihe von gut- oder weniger gutmeinenden Kritikern, die die Schwachpunkte herausstrichen. Leonard Feather lobte die Aufwertung des Jazz, … „von einer Untergrund-Kultur, die selten ernst genommen wurden und meist abseits in Tanzhallen und Nachtclubs aufgeführt wurde“. Andere hoben die wichtige Gleichberechtigung von Schwarzen und Weissen – Musiker und Publikum – hervor. Dem gegenüber stehen andere Überzeugungen: sinnlose Hahnenkämpfe, wer der schnellste mit dem längsten Atem sei, wären auf den Bühnen ausgetragen worden; Musiker verschiedener Stilrichtungen hätte man aufeindergehetzt; Alte, die längst den Zenit ihres Könnens überschritten auf Junge, die unreifes wütendes Gehupe von sich gegeben hätten, treffen lassen. Fest steht jedenfalls, dass es Norman Granz zu verdanken ist, dass Höhepunkte wie das Konzert in der Carnegie Hall vom Sommer 1946 mit Billie Holiday und Charlie Parker, das Pittsburgh Konzert mit dem Aufeinandertreffen von Buck Clayton, Coleman Hawkins und Flip Phillips bei „How high the moon“ zustandekamen und auch heute noch angehört werden können. Ohne die Konzertreisen von JATP durch Europa hätte es hier sicher hier nicht so viele Jazzfans gegeben - und vor allem nicht die schnelle Entwicklung zur Eigenständigkeit der Jazz-Musiker. Norman Granz und seinen europäischen Co-Veranstaltern gebührt grösstes Lob.


Wichtige Aufnahmen

The Complete Jazz at the Philharmonic on Verve 1944 -1949 (10 CD Box) Verve - Musiker: Illinois Jacquet, Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Charlie Parker, Lester Young, Gene Krupa, Oscar Peterson

JATP in Frankfurt 1952 Pablo - Musiker: Roy Eldridge, Lester Young, Max Roach

JATP in Tokyo 1953 Pablo - Musiker: Charlie Shavers, Roy Eldridge, Benny Carter, Ben Webster, Ella Fitzgerald

JATP in London 1969 Pablo - Musiker: Dizzy Gillespie, Clark Terry, James Moody, Teddy Wilson

JATP at the Montreux Festival 1975 Pablo - Musiker: Clark Terry, Zoot Sims, Benny Carter, Joe Pass


- JATP in Europe –

Auch wenn unstrittig die 40iger und 50iger Jahre die hohe Zeit der JATP-Jam-Sessions gewesen ist, bieten die für das Label Verve gemachten Mitschnitte vom November 1960 aus Stockholm reichlich Hör- und Gesprächsstoff. Die 4 LP’s mit den eher untypischen Covern ohne die Zeichnungen von David Stone Martin sind als Zeitdokumente für den Jazz der 60iger Jahre gutes Anhörmaterial.
Norman Granz hatte für seine Konzerttourneen durch die Länder Europas in jedem Land ein Promo-Büro gefunden, um sich Arbeit von den Schultern nehmen zu lassen, um das finanzielle Risiko zu verteilen, aber auch um die Erfahrung dieser Promoter zu nutzen.

In Deutschland war die Agentur von Horst Lippmann und Fritz Rau mit der Organisation der Konzerte beauftragt worden. Am 19.August 2009 ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Fritz Rau.

Wann hat Norman Granz mit den Europatourneen mit Jazz at the Philharmonic begonnen?

Granz hat in den frühen 50iger Jahren mit den Tourneen angefangen. Dann ging er zu AFN und fragte: Habt Ihr einen, der mich bei den Konzerten unterstützen kann? Da wurde ihm der Name Horst Lippmann genannt. Lippmann war während des Krieges im Hot Club Frankfurt, der 1953 gegründet wurde und war im Gestapo-Gefängnis. Nach dem Krieg, Ende der 40iger Jahre, hatte Horst Lippmann viele der amerikanischen Musiker, die nach Paris übergesiedelt waren, kennengelernt und brachte diese zu Konzerten nach Frankfurt. Ich kam zu Horst Lippmann dazu 1956. Norman Granz suchte einen Gepäckträger für seinen Tourneen. So war mein erstes JATP Konzert 1956 mit Ella und Oscar Peterson und da bin ich für meine Idole gerannt. Horst Lippmann hat die Tourneen organisiert und ich wurde von ihm zum Tourneeleiter gemacht. 1960 habe ich dann eigenständig die Tourneen von Marlene Dietrich, Nat King Cole und das Quincy Jones Orchestra organisiert.

Wie war denn Ihr Verhältnis zu Norman Granz?

Er war mein Lehrer. Ich verdanke ihm sehr viel, er hat mich Denken gelehrt. Ich wollte nie so werden, wie er, habe ihn aber später total kopiert. Wenn er wütend hat er gebrüllt: „Life is too short! I’m sick and tired of you!“. Er war sehr temperamentvoll und hat mich oft mal – für fünf Minuten – gefeuert. Ein Satz von ihm hat meein Leben verändert: „If you are nice to people you cannot be good to friends.”
Er hat mal scherzhaft gesagt: „Eigentlich brauchte ich Dir gar nichts zu bezahlen.“ Dankeschön sagen, das konnte er nicht, aber am Ende der ersten Tournee hat er mir eine goldene Uhr geschenkt. Ich habe viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Zeitweise ging das bis an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit, denn er fragte nie nach den Bedürfnissen der Menschen, die er bezahlte.

Wir waren die Koordinatoren seiner Konzerte in Europa. Dadurch bekamen wir die Chance, eigene Konzerte zu organisieren. Mit dem American Folk Blues Festival wurden wir Konkurrenten. Je mehr wir mit eigenen Ideen wie z.B. mit den Gospel-Festivals oder dem Flamenco-Festivals Erfolg hatten, desto merkwürdiger wurde er und das gute Verhältnis kühlte ab. Als er uns die Ausländersteuer für die Musiker aufzwingen wollte, kam es am Telefon zum entgültigen Bruch, nachdem wir uns gegenseitig fürchterlich angeschrien hatten. Ich kann sagen: Er hat mir viele Details unseres Geschäfts beigebracht, und er hat mich viel Kraft gekostet!

Haben Sie bei der Promotion der JATP Konzerte noch mit anderen Organisationen zusammenarbeiten können?

Lippmann und Rau waren die Konzertreferenten der Deutschen Jazz Föderation, dem Zusammenschluss der Hot Clubs in mehreren deutschen Städten. Dieter Zimmerle und Olaf Hudtwalker waren die ersten Präsidenten und Joachim Ernst Berendt war der Pressemann. Neben der Konzertleitung für Norman Granz habe ich deutsche Jazzmusiker gemanagt. Dazu gehörten Emil und Albert Mangelsdorff und die Two Beat Stompers, die Reihe „Kammermusik in Jazz“ begründet und begleitet und Horst Lippmann hat 1952 das bis heute bestehende, älteste Jazzfestival der Welt in Frankfurt veranstaltet.

Wie ging ihre Zusammenarbeit mit JATP zuende?
Jede Idee, sei sie noch so brilliant, läuft sich irgendwann zu Tode. Es gab ja jedes Jahr oder alle zwei Jahre eine Tournee, manchmal sogar zwei in einem Jahr. Der Zuspruch des Publikums war nicht mehr gut und dann hat Norman Granz umgeschaltet und Zweier-Packages gemacht wie Jimmy Smith und die Supremes oder Ella und Duke Ellington. Die letzten Tourneen wie 1975 liefen ohne uns, es hat der Pusch gefehlt, wie er 1955 bis 1960 noch vorhanden war. Auch weil sich Oscar Peterson von Norman Granz getrennt hatte. Der persönliche Kontakt zwischen mir und Norman Granz brach ab. Er hat uns zwar nach Genf eingeladen, die Konzerte mit ihm zu planen, aber darüber bin ich sehr traurig, dass diese Treffen nicht zustande kamen.

Dr. Michael Frohne

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