Posts mit dem Label JATP werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label JATP werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 18. Januar 2010

VERVE

Das Jazzlabel VERVE gratuliert sich zum 50sten Geburtstag.

Den Schreibern und Fotographen - meist gleichermaßen Kritiker, Fans und Literaten, die dicke Wälzer, Taschenbücher oder Fotobände über die improvisierte Musik dieses Jahrhunderts veröffentlicht haben, muß heute eine Unterlassungssünde angelastet werden: Die Rolle der Plattenfirmen, der Produzenten und der Vertriebsfirmen dieses Mischlings, der immer noch Jazz genannt wird, wurde zu wenig oder gar nicht beleuchtet.

Dabei ist der Jazz, dessen Hauptunterscheidungsmerkmal gegenüber der klassischen Musik die Spontanität und die Kommunikation mit Mitmusikern, Publikum und Räumen ist, ohne die Möglichkeit zur Dokumentation auf Walzen, Matrizen, Wachs,Acetaten, Schallfolien und -platten und heute auf CD oder DAT undenkbar. Niemand weiß, wie sich die archaische Musik, die Ende des letzen und zu Anfang dieses Jahrhunderts an vielen Orten der alten und neuen Welt entstand, weiterentwickelt hätte, wenn nicht RCA/Victor, Okeh, Brunswick oder Vocalion mit der Produktion von zuerst weißen, später auch schwarzen Bands, Millionen verdient hätten. Damit verbesserten sie im bescheidenen Maße auch die Lebensbedingungen der Musiker. Wichtiger war aber die Veränderung, die die Musik durchmachte: Einfach und banal zuerst einmal dadurch, daß ein Titel nur 2-3 Minuten dauern durfte: länger liefen die Schellacks nicht. Thema, kurze Improvisationen von 1 oder 2 Solisten, Reprise, Ende. Lediglich Radiomitschnitte, deren Bedeutung für den Bekanntheitsgrad der Orchesters gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und Live-Auftritte konnten Vitalität, Einfallsreichtum und technisches Können der Instrumentalisten und Sänger und Sängerinnen vermitteln.

Daran knüpfte 1944 Norman Granz an. Der damals 26-jährige, aus Los Angeles stammende Jazzfan, hatte einen ausgeprägten Geschäftssinn, der sich mit dem Wunsch, rassistische Vorurteile gegenüber schwarzen Musikern abbauen zu helfen, verband. Clubkonzerte und Plattenproduktionen für kleine Label hatte er schon organisiert, aber sein Traum war: Wenn 200 Leute in einen Club kommen, warum sollen da nicht 2000 Jazzfans eine Philharmonic Hall füllen? Unter dem Titel JATP (Jazz at the Philharmonic) wurde das erste Konzert - übrigens ein Benefiz-Konzert für mexikanische Jugendliche ein voller Erfolg. Es gab schon Vorläufer von dieser Idee: das Carnegie Hall von Benny Goodman 1938 und die Konzerte „From Spirituals to Swing“ aus dem gleichen Jahr und von 1939, aber als Veranstaltungsreihe sollte sich allein JATP bis Ende der 70-ger Jahre bewähren - auch bei Tourneen in Europa.

Die gutetechnische Qualität der Tonaufnahmen der Konzerte, die von der AFRS (Armed Forces Radio Service) mitgeschnitten wurden, und der Einfallreichtum der Musiker bei den Jam-Sessions, brachten Norman Granz auf die Idee, das kleine Label „Disc“ zu gründen. Hier wurden die ersten Live-Mitschnitte von Illinois Jacquet, Nat King Cole und Les Paul veröffentlicht. Als fast 10 Jahre später die ersten Langspielplatten (zuerst noch im 25 cm Format) erschienen, war Granz mit seinem neuen Label „Clef“, ein Unterlabel von Mercury, und seinen eigenen Labeln „Down Home“ und „Norgran“ einer der ersten, sicher aber der erfolgreichste Produzent dieser neuen Technik, die es erlaubte, bis zu 15 bzw.20 Minuten ohne Unterbrechung zu Gehör zu bringen.

Unter den Musikern, die Granz durch gut dotierte Verträge und lange Konzerttourneen an sich zu binden, waren Oscar Peterson, Art Tatum, Roy Eldridge und Coleman Hawkins. Meist stammten sie aus dem Kreis des etablierten Swing, aber auch Anfang der 5o-iger für das Gros des Publikums immer noch neutönerisch klingende Be-Bopper (Thelonious Monk, Bud Powell, Dizzy Gillespie und Charlie Parker) waren mit vielen Produktionen vertreten.

Den Sängerinnen galt schon immer die besondere Vorliege von Norman Granz. Billie Holiday, Anita O’Day waren kommerziell außerordentlich erfolgreich wärend der Zeit mit „Verve“. Diesen neuen gemeinsamen Namen bekam das Label, als Ella Fitzerald, die vorher bei Decca unter Vertrag stand, verpflichtet werden konnte.Gleich Ella’s erste Produktion für Verve wurde ein Bestseller und ist bis heute im Programm: „Ella Fitzgerald sings the Cole Porter Song Book.

Cabaret, Lyrik und Pop bekamen eigene Sparten bei Verve und halfen durch hohe Verkaufszahlen mit, immer aufwendiger werdene Plattensitzungen mit Streichern zu finanzieren. Charlie Parker, Johnny Hodges und Ben Webster konnten sich so den Traum vieler Jazz-Musiker erfüllen und über einem klassischen Klangteppich improvisieren.

Ende 1960 verkaufte Granz die Firma an MGM, eine der großen Filmfirmen in den USA. Die neuen Eigentümer verpflichteten mit Creed Taylor als neuen Produzenten einen Mann des großorchestralen Klangs, der sich aber zeitgemässen Synthesizer-Klängen nicht verschloß. Bill Evans, Jimmy Smith, Cal Tjader und Stan Getz, der mit „Getz/Gilbert“ und dem Hit „The Girl from Ipanema“ 1964 gleich 4 Grammies einheimste, waren die Newcomer im Verve-Jazz-Stall. Pop und Folk wurden gleichermaßen aufgenommen, so waren Frank Zappa, Velvet Underground neben Blues Project und Ricky Nelon zwischen 1968 und 1972 unter Vertrag.

1972 kehrte Granz zum Label zurück: Er gründete ein neues Sub-Label und nannte es Pablo. Mit gleicher Konzeption und ausgefeilter Studio- und Live-Technik (auch digital) wuchs sein Katalog in den nächsten Jahren auf 350 Platten an. Viele erhielten hohe Kritikerauszeichnungen. 1972 verkaufte MGM ihr bestes Jazzlabel an die Polygram. Neben der Veröffentlichung von Original-Platten, meist auf CD’s mit zusätzlichen, bisher unveröffentlichen Titeln, aber mit Verve-Covern, wurden ganze Sets von 6 oder mehr CD’s auf den Markt geworfen: Die Tonarchive wurden weltweit durchsucht und als Ergebnis dieser Recherchen können die Jazzfans je nach Gusto „The Complete Charlie Parker on Verve“, „The Complete Billie Holiday on Verve“ und Ella’s „Complete Song Book Sessions“ auf CD genießen.

Allerdings muß ich zugeben: die alten Verve Pressungen der Serie MG V-8000 und auch die japanischen Pressungen, die mit neuem Vinyl gepreßt wurden, klingen kompakter als jede Compact-disk! . „Porgy and Bess“ mit Ella und Louis Armstrong ist immer noch ein wahres Klangwunder, wenn man die Enstehungszeit 1957berücksichtigt. Deutsche Pressungen sind etwas hallig, die französischen für meinen Geschmack zu hochtönerisch abgemischt.Warnen sollte man in dieser Hinsicht vor den elektronisch aufbereiteten Nachpressungen der 70-ger Jahre, die man nur kaufen sollten, wenn anders die Musik nicht oder nicht mehr zu bekommen ist. (Kleiner Einschub über den Verkaufswert von Verve-Jazz-LP’s? Hier meine persönlichen Erfahrungen als Sammler: Originale Norgran: 150-200DM; Verve MG V-8000 Serie: 80-120DM; japanische Verve 50-70 DM; deutsche Verve 40-60 DM, Nachpressungen zwischen 15 und 25 DM.)

Die neuere Veröffentlichungspolitk der Firma Polygram, die den Geburtstag ihres erfolgreichen Jazzlabels mit einem Konzert in der Carnegie Hall feierte, beinhaltet 4 Schienen: Zusammenstellungen ihrer Stars (Compilations, Best of etc.) für den oder die Einsteiger/Innen; CD’s - manchmal mit zusätzlichen Titeln - mit alten Originalcovern, (meist von David Stone Martin gezeichnet); Mehrfach-Compact-Disc-Boxen (gerade ist „The Complete Bud Powell on Verve“ mit 43 unveröffentlichten Titeln erschienen) und zum Glück vergißt man Neuproduktionen mit etablierten und frischen Talenten nicht. Sie nehmen mittlerweise einen großen Raum im Katalog ein. Namen wie Randy Weston, Abbey Lincoln, Betty Carter, Joe Henderson und die, die noch zu entdecken sind (Roy Hargrove, Rodney Kendrick, Lucky Peterson) sollen stellvertretend genannt werden.

Zu hoffen ist,daß Verve mit seinen kommerziell erfolgreicheren, gleichzeitig aber durchaus oftmals sehr anspruchsvollen Produkten auch in den nächsten Jahren den Jazz am Leben halten wird. Wir Fans und Sammlerfreaks erwarten auch, daß die LP-Produktion wiederbelebt wird: Entweder unter dem alten Namen vom großen Konzern oder von irgendeinem kleinen Label, das Liebhaber-180gr-Raritäten, teuer und limitiert anbietet.

Michael Frohne
(Der Artikel erschien in verschiedenen Zeitschriften der 1990'iger Jahre. Inzwischen ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen: Die Firma Speakers Corner hat vieles aus dem Katalog neu in 180 gr Vinyl gepresst. Leider sind viele schon wieder ausverkauft, aber es bleibt die Hoffnung dass sich der Medienriese Universal (oder Polygram oder Sony - wie immer er jetzt gerade heißt) die Verkaufssteigerungsraten zu Herzen nimmt und Wiederveröffentlichungen nicht nur plant sondern auch veröffentlicht. Plattenpresswerke scheint es ja wieder zu geben. Kapazitäten sind dort aber leider rar. Macht aber den Fans Heißhunger nach mehr.)

Donnerstag, 7. Januar 2010

Jazz at the Philharmonic in Europa – Von Hot bis Cool

(Artikel für die LP-Box JATP in Europe - erschienen bei Speakers Corner)


- Der Beginn -
Am Sonntagnachmittag, den 2.Juli 1944, wurde in der Jazzgeschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Ort war das Philharmonic Auditorium in Los Angeles, der verantwortliche Organisator hieß Norman Granz und die Hauptdarsteller hörten auf die Namen Illinois Jacquet, J.J. Johnson, Coleman Hawkins, Nat King Cole und Les Paul. Die Idee, in einem klassischen Konzertsaal für ein gemischtrassiges Publikum schwarze und weisse Musiker auf die Bühne zu stellen, war in den 40iger Jahren ein echtes Wagnis mit ungewissem Ausgang. Nur ein kompromissloser, starrköpfiger Mann wie Norman Granz konnte bei den Verhandlungen mit den öffentlichen Behörden erfolgreich sein: Neben der Aufhebung der Rassentrennung im Publikum bot er gleiche Bezahlung für alle Musiker, Garderoben in bester Ausstattung und eine super Betreuung für Solisten und Begleitmusiker gleichermaßen. Zwei Jahre lang fanden die Konzerte in Los Angeles im monatlichen Rhythmus statt. Die Jazzmusiker nicht nur der Westküste spielten gerne nach den rauchigen kleinen Jazzclubs in der grossen mondänen concert hall, alle, Billie Holiday, Charlie Parker, Lester Young oder Dizzy Gillespie, genossen diesen neuen Flair, und auch die soziale Anerkennung, die die Konzerte ihnen gaben.

- Die Tourneen –
Im Sommer 1946 war New York der erste Ort an der Ostküste, wo ein JATP-Konzert stattfand. Auf dem Weg dorthin, rief die Idee von Norman Granz, die Klassik-Konzert-Hallen auch in anderen US-Städten für den Jazz zu öffnen, die Befürworter der strengen Rassentrennung auf den Plan: Örtliche Veranstalter, die diese forderten, bekamen von Granz eine Absage. Getrennte Bühneneingänge für schwarze und weisse Musiker ließ er nicht zu, in Hotels mit Segregation mietete er keine Zimmer für die Musiker. New York war da ein weniger schwieriges Pflaster. Die Carnegie Hall mit ihrem grossen Saal, in der schon am 16.Januar 1938 das legendäre Benny Goodman Konzert stattfand, sollte bis zum Ende der fünfziger Jahre fester Auftrittsort für die weiteren Konzerte sein. Die Musiker waren die Bekanntesten jener Jahre: Roy Eldridge, Flip Phillips, Coleman Hawkins, Charlie Parker, Ella Fitzgerald und der sensationelle, immer lächelnde und immer hungrige junge Mann, den Norman Granz aus Kanada importierte und der allen Pianisten durch seine überragende Technik und Schnelligkeit das Fürchten lehrte: Oscar Peterson. In den USA hatten die JATP-Konzerten in den USA ihren künstlerischen und kommerziellen Höhepunkt erreicht. Diesen Bekanntheitsgrad nutzte Norman Granz zum Ausbau seiner Konzertagentur und zur Gründung eines neuen Schallplattenlabels mit Namen Verve. Teil-Mitschnitte der Konzerte waren schon in den 40iger Jahren als 78rpm erschienen, wobei die langen Titel oft auf mehrere Seiten der Clef, Norgran und Mercury Schellacks verteilt werden mussten. Jetzt boten die 10inch und dann die 12inch LP’s den Jazzfans in aller Welt die Chance, die Improvisationen ihrer Stars ohne lästiges Plattenwenden zu geniessen.

Granz begann auch, die Musiker weltweit auf Konzerttourneen zu schicken: Kanada, Australien, Japan und Europa hatten ja ebenfalls Philharmonie Hallen. Bis zu sieben Monaten waren die Musiker unterwegs, teilweise spielten sie zwei Konzerten an einem Tag. 1957 stoppte Granz die JATP-Konzerte in den USA, die Konzerte in Japan und vor allem in Europa fanden weiter statt. Der Hunger der Fans nach der ersten Generation mit Lester Young, Ella und Oscar Peterson auch die neuen Avangardisten Miles Davis, Stan Getz und John Coltrane zu sehen und zu hören war grenzenlos. Der Konzertbus startete meist in Schweden oder Dänemark und führte über Deutschland, Holland, Belgien nach Paris, um in Lausanne, Zürich oder Mailand zu landen.
Seine Liebe zu Europa und die Bewunderung für Pablo Picasso veranlassten Norman Granz 1959, ein Chateau in der Schweiz zu kaufen und für immer dort zu leben. Seinem gefassten Vorsatz: „Niemals wieder JATP! Ich mache zwar Profit, aber es ist zu viel Arbeit und for allem zu viel Ärger“ blieb er für die nächsten Jahre treu.
In der Zusammenarbeit mit dem Organisator Claude Nobs für das Montreux Jazz Festival 1975 weckte Norman Granz die alten Geister zu neuem Leben: Ella, Count Basie, Milt Jackson und Dizzy Gillespie trafen sich dort zu neuen Jam Sessions; erweitert wurde der Konzertreigen durch alte und junge, schwarze und weisse, bekannte und damals weniger bekannte Musiker: Mary Lou Williams, Tommy Flanagan, Benny Carter und Ray Bryant. Die Abschlußtournee fand 1983 in Japan statt – u.a. Ella Fitzgerald und Oscar Peterson sind so auf Norman Granz letztem Label Pablo zu hören.

- JATP in der Kritik –

Bei allem Lob, welches die Konzertserien weltweit von Hörern und Sehern, von Freizeit- und Profi-Journalisten erfuhren, gibt es doch eine Reihe von gut- oder weniger gutmeinenden Kritikern, die die Schwachpunkte herausstrichen. Leonard Feather lobte die Aufwertung des Jazz, … „von einer Untergrund-Kultur, die selten ernst genommen wurden und meist abseits in Tanzhallen und Nachtclubs aufgeführt wurde“. Andere hoben die wichtige Gleichberechtigung von Schwarzen und Weissen – Musiker und Publikum – hervor. Dem gegenüber stehen andere Überzeugungen: sinnlose Hahnenkämpfe, wer der schnellste mit dem längsten Atem sei, wären auf den Bühnen ausgetragen worden; Musiker verschiedener Stilrichtungen hätte man aufeindergehetzt; Alte, die längst den Zenit ihres Könnens überschritten auf Junge, die unreifes wütendes Gehupe von sich gegeben hätten, treffen lassen. Fest steht jedenfalls, dass es Norman Granz zu verdanken ist, dass Höhepunkte wie das Konzert in der Carnegie Hall vom Sommer 1946 mit Billie Holiday und Charlie Parker, das Pittsburgh Konzert mit dem Aufeinandertreffen von Buck Clayton, Coleman Hawkins und Flip Phillips bei „How high the moon“ zustandekamen und auch heute noch angehört werden können. Ohne die Konzertreisen von JATP durch Europa hätte es hier sicher hier nicht so viele Jazzfans gegeben - und vor allem nicht die schnelle Entwicklung zur Eigenständigkeit der Jazz-Musiker. Norman Granz und seinen europäischen Co-Veranstaltern gebührt grösstes Lob.


Wichtige Aufnahmen

The Complete Jazz at the Philharmonic on Verve 1944 -1949 (10 CD Box) Verve - Musiker: Illinois Jacquet, Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Charlie Parker, Lester Young, Gene Krupa, Oscar Peterson

JATP in Frankfurt 1952 Pablo - Musiker: Roy Eldridge, Lester Young, Max Roach

JATP in Tokyo 1953 Pablo - Musiker: Charlie Shavers, Roy Eldridge, Benny Carter, Ben Webster, Ella Fitzgerald

JATP in London 1969 Pablo - Musiker: Dizzy Gillespie, Clark Terry, James Moody, Teddy Wilson

JATP at the Montreux Festival 1975 Pablo - Musiker: Clark Terry, Zoot Sims, Benny Carter, Joe Pass


- JATP in Europe –

Auch wenn unstrittig die 40iger und 50iger Jahre die hohe Zeit der JATP-Jam-Sessions gewesen ist, bieten die für das Label Verve gemachten Mitschnitte vom November 1960 aus Stockholm reichlich Hör- und Gesprächsstoff. Die 4 LP’s mit den eher untypischen Covern ohne die Zeichnungen von David Stone Martin sind als Zeitdokumente für den Jazz der 60iger Jahre gutes Anhörmaterial.
Norman Granz hatte für seine Konzerttourneen durch die Länder Europas in jedem Land ein Promo-Büro gefunden, um sich Arbeit von den Schultern nehmen zu lassen, um das finanzielle Risiko zu verteilen, aber auch um die Erfahrung dieser Promoter zu nutzen.

In Deutschland war die Agentur von Horst Lippmann und Fritz Rau mit der Organisation der Konzerte beauftragt worden. Am 19.August 2009 ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Fritz Rau.

Wann hat Norman Granz mit den Europatourneen mit Jazz at the Philharmonic begonnen?

Granz hat in den frühen 50iger Jahren mit den Tourneen angefangen. Dann ging er zu AFN und fragte: Habt Ihr einen, der mich bei den Konzerten unterstützen kann? Da wurde ihm der Name Horst Lippmann genannt. Lippmann war während des Krieges im Hot Club Frankfurt, der 1953 gegründet wurde und war im Gestapo-Gefängnis. Nach dem Krieg, Ende der 40iger Jahre, hatte Horst Lippmann viele der amerikanischen Musiker, die nach Paris übergesiedelt waren, kennengelernt und brachte diese zu Konzerten nach Frankfurt. Ich kam zu Horst Lippmann dazu 1956. Norman Granz suchte einen Gepäckträger für seinen Tourneen. So war mein erstes JATP Konzert 1956 mit Ella und Oscar Peterson und da bin ich für meine Idole gerannt. Horst Lippmann hat die Tourneen organisiert und ich wurde von ihm zum Tourneeleiter gemacht. 1960 habe ich dann eigenständig die Tourneen von Marlene Dietrich, Nat King Cole und das Quincy Jones Orchestra organisiert.

Wie war denn Ihr Verhältnis zu Norman Granz?

Er war mein Lehrer. Ich verdanke ihm sehr viel, er hat mich Denken gelehrt. Ich wollte nie so werden, wie er, habe ihn aber später total kopiert. Wenn er wütend hat er gebrüllt: „Life is too short! I’m sick and tired of you!“. Er war sehr temperamentvoll und hat mich oft mal – für fünf Minuten – gefeuert. Ein Satz von ihm hat meein Leben verändert: „If you are nice to people you cannot be good to friends.”
Er hat mal scherzhaft gesagt: „Eigentlich brauchte ich Dir gar nichts zu bezahlen.“ Dankeschön sagen, das konnte er nicht, aber am Ende der ersten Tournee hat er mir eine goldene Uhr geschenkt. Ich habe viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Zeitweise ging das bis an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit, denn er fragte nie nach den Bedürfnissen der Menschen, die er bezahlte.

Wir waren die Koordinatoren seiner Konzerte in Europa. Dadurch bekamen wir die Chance, eigene Konzerte zu organisieren. Mit dem American Folk Blues Festival wurden wir Konkurrenten. Je mehr wir mit eigenen Ideen wie z.B. mit den Gospel-Festivals oder dem Flamenco-Festivals Erfolg hatten, desto merkwürdiger wurde er und das gute Verhältnis kühlte ab. Als er uns die Ausländersteuer für die Musiker aufzwingen wollte, kam es am Telefon zum entgültigen Bruch, nachdem wir uns gegenseitig fürchterlich angeschrien hatten. Ich kann sagen: Er hat mir viele Details unseres Geschäfts beigebracht, und er hat mich viel Kraft gekostet!

Haben Sie bei der Promotion der JATP Konzerte noch mit anderen Organisationen zusammenarbeiten können?

Lippmann und Rau waren die Konzertreferenten der Deutschen Jazz Föderation, dem Zusammenschluss der Hot Clubs in mehreren deutschen Städten. Dieter Zimmerle und Olaf Hudtwalker waren die ersten Präsidenten und Joachim Ernst Berendt war der Pressemann. Neben der Konzertleitung für Norman Granz habe ich deutsche Jazzmusiker gemanagt. Dazu gehörten Emil und Albert Mangelsdorff und die Two Beat Stompers, die Reihe „Kammermusik in Jazz“ begründet und begleitet und Horst Lippmann hat 1952 das bis heute bestehende, älteste Jazzfestival der Welt in Frankfurt veranstaltet.

Wie ging ihre Zusammenarbeit mit JATP zuende?
Jede Idee, sei sie noch so brilliant, läuft sich irgendwann zu Tode. Es gab ja jedes Jahr oder alle zwei Jahre eine Tournee, manchmal sogar zwei in einem Jahr. Der Zuspruch des Publikums war nicht mehr gut und dann hat Norman Granz umgeschaltet und Zweier-Packages gemacht wie Jimmy Smith und die Supremes oder Ella und Duke Ellington. Die letzten Tourneen wie 1975 liefen ohne uns, es hat der Pusch gefehlt, wie er 1955 bis 1960 noch vorhanden war. Auch weil sich Oscar Peterson von Norman Granz getrennt hatte. Der persönliche Kontakt zwischen mir und Norman Granz brach ab. Er hat uns zwar nach Genf eingeladen, die Konzerte mit ihm zu planen, aber darüber bin ich sehr traurig, dass diese Treffen nicht zustande kamen.

Dr. Michael Frohne
Verve V/V6-8539/8540/8541/8542 JAZZ AT THE PHILHARMONIC IN EUROPE

Die Zahl der Jazzfans, die die Konzertreihe „Jazz at the Philharmonic“ noch live-erlebt hat, dürfte sehr klein geworden sein. Der Ruf, den diesen Sessions auch im 21.Jahrhundert unter Alten und Jungen gleichermassen nachgeht, ist jedoch legendär.

Der Konzert-Promoter Norman Granz brachte schon Mitte der fünfziger Jahre seine Giganten nach Europa. Waren es zunächst Oscar Peterson, Illinois Jacquet und Ella Fitzgerald, die die fans in Hamburg, Berlin, Paris und Brüssel von den Stühlen rissen, folgten im November 1960 die Begegnungen zwischen alten und jungen, zwischen schwarzen und weissen Solisten. Beim Konzert am 21.November im überfüllten Konserthuset in Stockholm trafen sich Coleman Hawkins, Benny Carter und Don Byas mit Stan Getz, Cannonball Adderley, Leo Wright und JJ Johnson - und die beiden Trompeter Roy Eldridge und Dizzy Gillespie waren die stilistischen Bindeglieder. Auch die Themen lieferten neue Perspektiven: Bernie’s tune, Kush, All the things you are und Trotting sind hörbar deutlich echte Herausforderungen für die alten Cracks. Souverän treten die Jungen, die zum Teil noch zur Avantgarde zählten, in ihre Fussstapfen: ein Stan Getz ohne Bossa Nova Cliches, ein Cannonball Adderley, soulig und funkig und ein groovender J.J.Johnson.

Auch wenn unstrittig die 40iger Jahre die hohe Zeit der JATP-Jam-Sessions gewesen ist, bieten die für Norman Granz’ Label Verve gemachten Mitschnitte vom November 1960 reichlich Hör- und Gesprächsstoff. Die inzwischen zu Sammlerstücken mutierten 4 LP’s sind ohne Knack- und Kratzgeräusche jetzt zum ersten Mal nach fast 50 Jahre - ungetrübt von Billig-Vinyl aus zweiter Hand - voll geniessbar.


Recording: November 21, 1960 Stockholm, S

Production: Norman Granz

Dr. Michael Frohne