Montag, 1. Februar 2010

Zähne - Diagnose und Therapie bei Blasmusikern

Die zahnärztliche Behandlung eines Blasmusikers stellt für alle zahn-ärztlichen Disziplinen eine besondere Herausforderung dar. Dies trifft auf Kinder, Jugendliche und erwachsene Patienten gleicher-maßen zu. Die Probleme beginnen meist mit einer hohen Spannung in der gesamten Mund- und Gesichtsmuskulatur, die dazu führt, daß die Behandlungsinstrumente des Zahnarztes und des Fachpersonals schwierig im Mund zu plazieren und die Sichtverhältnisse eingeschränkt sind. Die starke Durchblutung der Zunge, der Lippen und der gesamten Mundschleimhaut führen bei versehentlichen Verletzungen sowie bei chirurgischen Eingriffen zu schwer beherrsch-baren Blutungen. Eine einfache Füllung im Frontzahngebiet bringt bei einem Blasmusiker besondere Probleme mit sich, weil über die Wiederherstellung der Ästhetik und Kaufunktion hinaus die Restauration der genauen Länge, Dicke und Oberflächenbeschaffenheit für die weitere Ausübung des Blasens von entscheidender Bedeutung ist. Parodontalerkrankungen bei Holzblattbläsern infolge von traumatischen Überbelastungen sind sehr häufig anzutreffen. Eine ästhetisch und kaufunktionell befriedigende Lösung bei der Anfertigung einer Teilprothese kann durchaus zu Störungen in der Feinmotorik und zu baldiger Ermüdung beim Spielen des Instruments führen, was von den Musikern mit schwachem Ton und fehlender Resonanz beschrieben wird. Die Versorgung eines Blasmusikers mit Totalprothesen im Oberkiefer und/oder Unterkiefer stellt an den behandelnden Zahnarzt allerhöchste Anforderungen. Noch 1923 wurde festgestellt, daß „ein sicheres Beherrschen von Blasinstrumenten bei oberem oder unterem, noch mehr bei oberem und unterem totalem Zahnersatz zur baren Unmöglichkeit wird“. Die Anfertigung von besonderen Blasprothesen kann ein möglicher Weg sein. Nicht immer gelingt es, eine beidseits befriedigende Lösung zu finden: Haftpulver oder -crème helfen oft nicht weiter und der Musiker muß ohne Zahnersatz mit eingeschränkten musikalischen Ausdrucksmög-lichkeiten spielen oder er gibt die musikalische Tätigkeit ganz auf.

Da die Probleme von Bläsern während und nach der zahnmedizinischen Behandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Konstruktion des Instruments zu sehen sind und die Belastung des stomatognathen (darunter versteht man das Zusammenspiel von Zähnen, Kiefer, Muskulatur, Bändern und Nerven) Systems entsprechend differiert, soll ein instrumentkundlicher Abschnitt vorausgestellt werden; auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Zahnärzte während ihres Studiums darüber nichts erfahren und in der Praxis gezwungenermassen häufig nach dem Verfahren „Versuch und Irrtum“ verfahren müssen. Die Instrumentalisten werden über eine kleine Gedächtnisauffrischung aus „grauer“ Studienzeit dankbar sein und der zahnmedizinische Ansatz beleuchtet vielleicht auch ein paar neue Nuancen.

I Anatomische und physiologische Besonder-heiten bei Blasmusikern

1. Der Ansatz (allgemein)

Ganz allgemein versteht man unter dem „Ansatz“ oder auch „Embouchûre“ (die ursprüngliche Übersetzung lautet „Mundloch“) genannt, beim Spielen eines Instruments die Stellung der Lippen beim Anblasen.

Es ist jedoch zweckmäßig, diese Definition in zweifacher Hinsicht zu erweitern, weil darunter zum einen die Beziehung zwischen dem jeweiligen Mundstück, der Mundhöhle und dem stomatognathen System zu verstehen ist. Zum anderen meint ein Musiker, wenn er zu bestimmten Gelegenheiten von seinem schlechten Ansatz spricht, daß sein Leistungsvermögen durch besonderen Vorkommnisse vermindert ist. Die Ursache für die unsichere Ansprache der Töne und die Veränderungen in der Tonfrequenz („Zutief-sein“) kann in der Überanstrengung der Muskulatur, eventuellen Verletzungen der Schleimhaut oder auch bei abgeplatzten Epidermispartikeln liegen. Ferner wird in der Physiologie der Lautbildung unter „Ansatz“ der Raum, der für die Klangfarbe wichtig ist, nämlich Schlund-, Mund- und Nasenhöhle, verstanden.
In der Bläsersprache ist weiterhin der Begriff „Ansatz“ mit „Eignung“ gleichgesetzt. Dies ist keine Aussage über die Beherrschung des Instruments oder über die Technik, sondern über die anatomischen und physiologischen Vorraussetzungen (dazu zählen u.a. Lippenform, Zahnstellung, Atemvolumen), die zum Spielen eines bestimmten Instruments notwendig vorhanden sein müssen.

Beeinflußt wird der Ansatz durch anatomische und physiologische Faktoren:

a) Muskulatur von Mund und Gesicht
b) Zähne, Zahnbögen, Kieferrelation
c) Lippen und Zunge
d) Psyche
e) Ermüdung
f) Alter

a) Orofaciale Muskulatur
Übergreifend für alle Blasinstrumente wurde das Zusammenspiel der Muskulatur im Lippenbereich ausführlich von mehreren Autoren beschrieben. Der für die Blasfunktion zentral wichtige musculus orbicularis oris mit den Fasern der in ihn einstrahlenden Muskelgruppen dient bei Holzblattbläsern zur Tonerzeugung, bei Blech-bläsern zur Tongestaltung. Soll ein hoher Ton geblasen werden, ist der musculus bucinator mit Hilfe einer starken Anspannung unterstützend tätig. Dieser stellt das letzte und wirksamste Kraftreservoir zur Erzeugung der Töne dar. Gleichzeitig hat der musculus orbicularis oris die wichtige Aufgabe, den Mundraum zu schließen, damit alle zur Verfügung stehende Luft durch das Instrument entweichen kann (Ausnahme: Querflöte).

Zur Darstellung der Vielzahl der an der Tonbildung beteiligten Muskeln, können die Abbildungen nach Voss/Herlinger dienen. Es kann hier darauf verzichtet werden, das durchaus sehr unterschiedliche Zusammenspiel der Muskulatur bei den verschiedenen Blasinstrumenten aufzuzeigen, zumal im Detail voneinander abweichende Meinungen vertreten werden.


b) Die Form, die Stellung und der Lockerungsgrad der Zähne bestimmen die Qualität des Ansatzes in entscheidenden Maß mit. Sie bilden das Gegenlager für die Lippen (z.B. bei Trompeten, Posaunen, Querflöten, Oboen) oder haben direkten Kontakt zum Mundstück (z.B. bei Klarinetten, Saxophonen). Die Eignung eines Blasmusikers wird durch die Form der Zahnbögen sowie die Kieferrelation positiv oder negativ beeinflußt und zusammen mit der Form der Inzisivi werden Tonqualität und Tonumfang eines Bläsers mitbestimmt. Kopfbißlage und progene Verzahnung werden z.B. als in der Regel hinderlich für Trompeter und Posaunisten genannt. Als generell nachteilig für Bläser wird der frontal offene Biß, progene Bißlage, ein ausgeprägter Überbiß, eine große Schneide-kantendistanz, Nichtanlage von Schneidezähnen und Mißbildungen im Bereich der Zähne, der Kieferknochen und der Weichteile des Gesichts-bereichs beschrieben.

c) Durch den direkten Kontakt mit den Mundstücken aller Blasinstrumente sind Form, Größe und Tonus der Oberkiefer- und Unterkieferlippen für den Ansatz von großer Bedeutung. Ein Posaunist beschreibt die tonlichen Auswirkungen der verschiedenen Lippenformen: „Eine kräftige Unterlippe ist der Ansprache der hohen Töne und eine ausgeprägte, lange Oberlippe der Ansprache der tiefen Töne günstig“. Die Lippen werden gespannt und entspannt und ermöglichen die Anpassung des Luftstromes an die Tonhöhe. Ihre nicht-muskulären Bestandteile (Schleim-, Speichel- und Talgdrüsen, Behaarung) schützen den Blasmusiker vor dem Wundwerden und verhindern ein Abrutschen des Mundstücks. Die Form und Lage der Zunge sowie ihre Bewegungsarten (z.B.Zungenstoß, Doppelzunge und Legato-Stoß) beeinflussen ebenfalls den Ansatz und führen zusätzlich zur größeren Präzisierung bei der Tonansprache.

d) Die Angst, beim Auftritt vor einem eventuell großen Publikum zu versagen, kann in der Kombination mit privaten, familiären Problemen zu einer Ansatz-Verschlechterung und in manchen Fällen zur vollständigen Spiel-Unfähigkeit führen, weil eine Temperaturerhöhung, die fehlende Feuchtigkeit („ausgetrockneter Mund“) und die Speichel-zusammensetzung auf die Geschmeidigkeit des Rohrblattes einen negativen Einfluß ausüben.

e) Physische Gründe, z.B. Ausgedehnte Solopartien und extensives Spielen (In der Musikliteratur wird berichtet, daß nach einem Konzertauftritt mit 3 Stunden Dauer, ansschließendem Clubauftritt bis zu 6 Stunden Dauer, die Musiker am nächsten Morgen direkt zum Einspielen einer Schallplattenaufnahme ins Studio gefahren sind) können zum sogenannten „Abgeblasensein“ führen, wobei vergeblich versucht wird, die Verkrampfungen der orofazialen Muskulatur bei der dann fehlenden Zwerchfellstützung durch größeren Ansatzdruck zu kompensieren.

f) Im Alter führen das manchmal erschwerte räumliche Wahrnehmungsvermögen in der gesamten Mundhöhle und die oft eingeschränkte Koordinationsfähigkeit der Muskeln - hier der orofazialen Muskulatur - zur Ansatzver-schlechterung. Zusammen mit der nachlassenden Augenkraft sowie des nur noch tiefere Frequenzen wahrnehmenden akustischen Organs wird ein befriedigender Ansatz nur noch schwer oder gar nicht kontrolliert durchführbar.

2. Der Ansatz in Abhängigkeit vom Instrument

A. Klassifizierung

Je nach Art der Tonerzeugung und Form des Mundstückes erfordern die einzelnen Instrumente einen besonderen Ansatz.

Die Einteilung der Blasinstrumente in verschiedene Klassen ergibt sich aus der Form der Mundstücke und in Abhängigkeit von der Art, wie der Klang erzeugt wird. Die nachfolgende Einteilung hat Strayer im Jahre 1939 vor-geschlagen; sie besitzt noch heute Gültigkeit.

Klasse A
Blechblasinstrumente mit extraoral aufgesetztem kesselförmigem Mundstück, welches heute meist aus Metall (Messing) selten aus Kunststoff gefertigt ist; früher bestand es auch aus Bernstein. Die Mundstückkessel varieren stark in Tiefe und Durchmesser, sowie Größe des äußeren Randes. Die Auflistung der Instrumente (unter Auslassung einiger, nur sehr selten gespielter Blechblasinstrumente) erfolgt nach Größe der Mundstücke:

1. Trompeten - mit und ohne Ventile -, auch Corno da caccia sowie Kornett und Fanfare
2. Jagd- und Signalhorn
3. Flügelhorn
4. Waldhorn (engl.: french horn)
5. Alt-Horn
6. Posaune - auch Ventil- und Bassposaune - (engl.: trombone, valve-trombone, bass-trombone
7. Baritonhorn (engl.: euphonium)
8. Bass Horn
9. Tuba - auch Basstuba

Klasse B
Holzblasinstrumente (Einfachrohrblattinstrumente) mit intraoralem Ansatz. Das abgeschrägte Mundstück besteht aus Kautschuk, Plastik oder Metall mit einer Auflage
1. Klarinetten - Eb, Bb, Ab, Baß- und Kontra-bassklarinette
2. Basset-Horn
3. Saxophone - C-melody, Sopranino, Sopran-, Alt-, Tenor-, Bariton-, Bass- und Kontrabass-Saxophon

Klasse C
Holzblasinstrumente (Doppelrohrblattinstrumente) mit intraoralem Ansatz
1. Oboe - auch Oboe d’amore
2. Englisch-Horn und Heckelphon
3. Fagott und Kontrafagott (engl.: bassoon)

Klasse D
Flöten mit Loch am Kopf des röhrenförmigen Instruments, schnabelförmigem Mundstück am Kopf oder einer Öffnung mit breitem Rand, die im ersten Drittel auf der Seite der Röhre liegt. Es sind sehr unterschiedliche Bauarten verbreitet. In der abendländischen Musik gebräuchlich sind:
1. Blockflöten (engl.: recorder) in unterschied-licher Stimmung mit intraoralem Ansatz
2. Quer- und Piccoloflöten mit extraoralem Ansatz
3. Signalflöten mit intraoralem Ansatz, z.B. Rangierflöte bei der Bahn und Schiedsrichterflöte beim Sport

Aufgrund eigener Erfahrung sollte als Ergänzung die Mundharmonika einbezogen werden. Diese, auch Harmonika (nicht zu verwechseln mit der Handharmonika) genannt, ist ein Instrument mit Durchschlagszungen, die in einem kasten-ähnlichen Gehäuse unterschiedlicher Form und Größe untergebracht sind. Der Druck auf die Frontzähne, der beim Vorbeiziehen an den Lippen mit Hineinblasen und Einsaugen von Luft entsteht, ist gering, jedoch ist die Gefahr, die Lippenmukosa bei extensivem Spielen zu verletzen, groß.

B. Beschreibung der unterschiedlichen funktio-nellen Gegebenheiten beim Ansatz

Klasse A: Blechblas-Instrumente
Trompete, Kornett, Flügelhorn
Das kesselförmige mit einem aufgewölbten Rand versehene Mundstück, das in der Regel heute aus Metall (Messing, meist versilbert oder vergoldet) besteht, wird von Trompetern, Kornettisten und Flügelhornisten extraoral - meist zentral, manchmal aber auch habituell nach rechts oder links versetzt - zu 2/3 auf die Oberkiefer- und zu 1/3 auf die Unterkieferlippe sowie auf die äußere Haut über dem musculus orbicularis oris aufgesetzt. Das flache Bechermundstück der früheren Trompeten ist heute durch kleinere, tiefe Kesselmundstücke größtenteils verdrängt worden. Eine direkte Beziehung zu den Frontzähnen besteht nicht, diese dienen lediglich als Widerlager (Die von einigen Autoren aufgestellte Behauptung, daß „beide Lippen stark gegen die Frontzähne gepresst werden“, trifft nur auf den völlig ungeübten Autodidakten zu). Oberkiefer und Unterkiefer werden ca.2-3 mm aus der Okklusion genommen, die Zunge ist zum Gaumen hin aufgewölbt und wird zur Abdichtung nach lateral gegen die Zahnreihen gepreßt, was in Fernröntgenbilder nachgewiesen werden kann. Im druckschwachem Ansatz, der von Anfängern mühsam durch Unterweisung des Musiklehrers erlernt werden muß, variiert die orofaciale Muskelspannung der Lippen den Ton in der Höhe innerhalb der Naturtonreihe, die Zunge verändert die Qualität des Tones (weich und hart), alle anderen Veränderungen werden durch die unterschiedliche Länge der Luftsäule (mit Hilfe der Ventile) erzeugt.


Posaune, Horn und Tuba
Im Gegensatz zur Trompete weisen Posaune, Horn und Tuba größere Kessel auf. Bei der Posaune befinden sich die Lippen fast vollständig innerhalb des Mundkessels, die Frontzähne haben keinen direkten Kontakt zum Mundstück, die Zunge ist ähnlich hochgewölbt wie bei den Trompetern, allein der vertikale Abstand der Kauflächen ist größer. Von den Hornisten wird das Mundstück jeweils zur Hälfte auf die Ober- und Unterkieferlippe aufgelegt, die oberen Inzisivi haben einen geringeren Abstand als die unteren zum Mundstück, die Zunge liegt flach auf dem Mundboden, der vertikale Abstand der Zahnreihen ist noch größer. Bei den Tubisten mit dem größsten Mundstückkessel werden die Lippen vollständig bedeckt, die Front hat keinen direkten Kontakt, die Zunge verlagert sich nach dorsal, während der vertikale Abstand ähnlich groß wie bei der Posaune ist.

Für alle Blechbläser trifft zu, daß bei einer Vorschädigung des Parodontiums der Frontzähne besonders bei Anfängern die Gefahr besteht, daß die Zähne in Richtung Cavum oris gedrückt werden können. Sind einzelne Frontzähne rotiert oder protrudiert, was bei Engständen häufig der Fall ist, besteht die Gefahr der Verletzung der Lippenmucosa. Läsionen der Lippen sind bei den Hochnotenspielern heute häufig, treten aber auch bei protudierten Frontzähnen auf. Ihr Auftreten ist selbstverständlich abhängig von der Spiel- bzw. Übungsdauer, von der Pflege und auch von der anatomischen Form der Lippen.

Klasse B Holzblattspieler (einfaches Blatt)
Beschreibung und mögliche Folgebefunde

Unter Auslassung gradueller Unterschiede zwischen Klarinettisten (hier alle Systeme und Stimmungen) und Saxophonisten (auch alle Stimmungen) ist allgemein zu sagen, daß das Mundstück (der Ausdruck „Schnabel“, wie er in einigen zahnmedizinisch-wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu finden ist, wird heute weder von Musikern noch in der Musikwissenschaft benutzt) aus Kautschuk, Plastik oder aus Metall mit einer Plastik- oder Kautschukauflage besteht. Darunter ist mit einem Ring und Spannungsschrauben oder mit einer speziellen Kordel das einfache Rohrblatt, das aus Schilfrohr (Arundo donax) oder Plastik gefertigt ist und von den Musiker mit der Hilfe von Messern und Schleifpapieren und Feuerzeugen individuell bearbeitet wird, so befestigt, daß zwischen Lamellenrand und Mundstück ein schmaler Spalt einsteht, durch den die Luft geblasen wird. Der Ton wird bei intraoralem Ansatz erzeugt, indem die Schneidekanten der mittleren Oberkiefer-Inzisivi auf die abfallende Bahn des Mundstücks aufgesetzt oder mit Hilfe der Oberkieferlippe abgepolstert werden. Die Unterkieferlippen dienen als Polster und werden ja nach Ansatztechnik mehr oder weniger über die unteren Schneidezähne gelegt. Der Unterkieferfront zusammen mit der Unterkiefer-muskulatur kommt dabei eine wichtige Funktion zu: Sie ist Widerlager für die Lippe, sorgt für festen Schluß, damit keine Luft seitlich entweichen kann und trägt zur Regulierung der Tonhöhe und zur Veränderung der Tonqualität bei.
Die Lippen werden um das Mundstück geschlossen, wobei die Oberlippe dem Druck, der durch das Mundstück auf die Oberkieferfront ausgeübt wird, entgegenwirken muß. Der vertikale Abstand der Zahnreihen ist größer als bei der Ruheschwebe, die Lage der Zunge verändert sich je nach Tonhöhe und variiert stark bei Spezialeffekten, die sowohl im Jazz bei der Improvisation üblich sind, als auch nach den Partituren der Neuen Musik häufig intoniert werden müssen.
Die Luft wird mit Atemdruck durch den Zwischenraum von Blatt und Mundstück geblasen.
Der Druck der oberen Inzisivi auf die abfallende Bahn des Mundstücks führt zur Abrasion, häufig auch zur Protusion. Die unteren Inzisivi werden weniger stark belastet, weil sie durch die Unterlippe geschützt sind, wobei sich die scharfe Inzisalkante aber häufig in die Innenseite der Unterlippe eindrückt und zu linearen Impressionen und nachfolgenden Läsionen führt. Wenn einzelne Zähne rotiert sind, wenn ein Engstand, oder eine lückige Front vorliegt, wenn scharfe Abrasionskanten oder wenn allgemein ein Labialstand der Front vorhanden ist, verschlimmert sich dieser Zustand rapide, wird schmerzhaft und kann zu einer starken Spielbehinderung werden. Wird die Muskulatur zu wenig trainiert oder erschlafft sie im Alter, können die oberen Inzisivi lückig aufgefächert werden.


Klasse C Holzblatt-Instrumentalist (Doppelblatt)
Beschreibung und mögliche Folgebefunde

Die Doppelblatt-Holzblasinstrumente erfordern einen hohen Luftdruck, wobei jedoch die Öffnung zwischen den Blättern nur sehr klein ist. Insofern haben diese Bläser ein Überangebot an Luft. In der heutigen Musik-Literatur wird zudem häufig die Zirkularatmung verlangt, die schwierig zu erlernen ist und für den gesamten Atemapparatur und an die orofaziale Muskulatur eine große Belastung darstellt. Der Ton wird beim Blasen durch zwei gegeneinander schwingende Rohrblätter, die fest durch eine Schnur auf das Metallrohransatzstück gebunden sind, erzeugt. Der intraorale Ansatz erfolgt mit leicht nach unten geneigtem Mundstück bzw. Instrument, die Lippen werden über die Frontzähne gestülpt, wobei der feste Mundschluß um die Blätter einen Luftausstrom zur Seite verhindern muß. Auch wenn die obige Abbildung dies nicht vermuten läßt, ist die Belastung für den Zahnhalteapparat groß. Die obere und untere Front kann in sagittaler Richtung nach oral gedrückt werden, Läsionen beim Eindrücken der Zähne in die innere Lippenpartie werden genauso beschrieben wie die Tendenz zur retralen Kondylenlage bei Fagottisten. Die Belastungen des Zahnhalte-apparates bei Oboisten (Schüler und Berufsmusiker) waren mehrfach Gegenstand von medizinschen Untersuchungen. wobei von einigen Autoren besonders auf die Zerstörung des knöchernden Zahnbetts, die zum Verlust der Zähne führen kann, hingewiesen wird. Zusätzlich muß an die bei den Fagottisten großen und ausgeprägten Bewegungen beim Spielen gedacht werden. (Beim staccato macht der Fagottist im Gegensatz zum Oboisten weite Unterkiefer-bewegungen, wodurch die auf die Zähne einwirkenden Kräfte einer ständigen Veränderung unterliegen) und es sollte daher eher die dynamische Betrachtungsweise gegenüber der statischen bevorzugt angewendet werden.

Klasse D Flöteninstrumente (Instrumente mit Luftblatt)
Beschreibung und mögliche Folgebefunde

Heute ist die Querflöte in unterschiedlicher Stimmung ein wichtiges Solo- und Ensemble-Instrument geworden und erfreut sich bei Schülern großer Beliebtheit - ganz im Gegensatz zum früheren „Pflicht“- Instrument, der Blockflöte. Die Querflöte besteht aus Metall, die modernen Flöten weisen einen Flötenkopf mit Mundloch auf. Die Rundung der Flöte entspricht der Wölbung zwischen Unterlippenrand und Kinn und wird hier extraoral angelegt. Der Luftstrom wird stark zentriert mit Hilfe gespitzter Lippen (Kontraktur des musculus buccinator und musculus risorius) über und teilweise in dieses Mundloch, das als natürliche Schneide wirkt, geblasen. Es gibt auch Schnabelflöten, bei denen die Luft durch eine enge spaltförmige Kernspalte geblasen wird und bei denen der Spieler wenig Einfluß auf den entstehenden Ton nehmen kann. Ein Druck auf den Bereich der Wurzeln der UK-Frontzähne ist festzustellen, hierdurch können die unteren Inzisivi sagittal in Richtung cavum oris gedrängt werden. Ansonsten besteht die Möglichkeit von Muskelverkrampfungen im Bereich von Maxilla und Mandibula bis hin zu Kiefergelenkssymptomen, über die viele Flötisten klagen, und die ihre Ursache in der ungewöhnlich großen Muskelanspannung haben dürften.

Sonderfall :
Es soll darauf hingewiesen werden, daß bei Rangierarbeitern, die während eines großen Teils ihrer täglichen Arbeitszeit die Signalpfeife im Mund halten und ebenfalls bei Schiedsrichtern im Sport, die mit der Pfeife im Mund laufen, Abrasionsschäden feststellbar sind; betroffen sind die oberen und unteren Schneidezähne. Eine Sprachbehinderung und unästhetische Zahnreihen sind die Folge, wobei die Vitalität der Zähne meist erhalten ist. Zu fordern ist eine Umgestaltung der Mundstücke (flach ausgezogene Form und Polsterung mit weichbleibendem Kunststoff) oder der Ersatz durch andere Signalmöglichkeiten. Die orale Rehabilitation durch Modellguß mit einfachen Halte-Elementen sollte abgelehnt werden, weil durch die Belastung der Frontzähne der Oberkieferzahnersatz kippt und an eine Adaption während der Fahrt und beim Auf- und Abspringen nicht zu denken ist.

Es soll abschließend darauf hingewiesen werden, daß der Ansatz auch von Musiker zu Musiker variiert. Der oder die Lehrer nehmen darauf großen Einfluß. Unter Vernachlässigung des individuellen Ansatzes wird häufig versucht, den/die Schüler auf den vermeintlich schulmäßig richtigen Ansatz zu „trimmen“. Ebenso sind aber auch die unterschiedlichen musikalischen Bereiche (E-Musik, Jazz oder Pop) entscheidend, in denen die Musiker agieren. Exemplarisch sollen erwähnt werden:
a.) die barocke Trompete ein Naturinstrument, auf der sich die hohen Register nur von Clarino-Bläsern erzeugen lassen, weil ein grösserer Lippendruck mit anstrengendem Atemdruck erforderlich ist.
b.) die Artikulation, Phrasierung und die manchmal extrem hohen Lagen, die auch durch „Überblasen“ erzeugt werden (bis ins b’’’ und höher bei den Jazztrompeter z.B. Louis Armstrong oder William Cat Anderson) sind ein großer musikalischer und technischer Gegensatz zu den Trompetenkonzerten aus der Barockzeit, bei denen mit verhaltenem Gestus gespielt wird.

Nicht unterschätzt werden darf die Tatsache, daß Blasmusiker (Berufsmusiker und Amateure) im Bereich der Militärmusik und der Festzugsumzüge (Fasching, Karneval, Volks- und Schützenfeste) während des Spielens durchaus ausgeprägte Ganzkörper-Bewegungen ausführen, beziehungsweise ausführen müssen. Dies kann durch erhöhten Lippentonus nur teilweise ausgeglichen werden. Auch dürfte die Gefahr von Verletzungen des Weichgewebes und der Zahnsubstanz hierbei groß sein.

Wie komplex der gesamte ossale und neuro-muskuläre Bereich ist, der zur Handhabung eines Instruments und zur Tonbildung benutzt wird, wobei die Anforderungen weit über das normale Maß beim Sprechen und Essen hinausgehen, wird bereits bei einfachen Eingriffen durch den Zahnarzt deutlich. Welche Schwierigkeiten bei weiterreichenden Therapien auftauchen können, soll beschrieben werden. Berücksichtigt wird dabei auch die psychische Belastung des Patienten und das Verhältnis, das der Zahnarzt dazu einnimmt bzw. einnehmen sollte.

II Ratschläge für Blasmusiker und Zahnärzte

Die Schwierigkeiten, die bei der zahnärztlichen Behandlung von Blasmusikern entstehen können, sind durch besondere Maßnahmen wenigstens teilweise vermeidbar. Zu diesen Maßnahmen können eine gezielte, auf Bläser ausgerichtete Prophylaxe, spezielle Anamnesebögen und instrumenten-spezifische Behelfe gehören. Bei dem Musiker, der mit seinem individuellen Problem in die Praxis kommt, steht die Wiederherstellung der Blastüchtigkeit im Vordergrund. Wie existentiell er vom Funktionieren des gesamten stomatognathen Systems in seiner Berufsausübung abhängig ist, wird ihm vielleicht erst dann bewußt, wenn einer oder mehrere Zähne extrahiert werden müssen.

Die Umsetzung der Vorschläge, die im Folgenden zur Prophylaxe gemacht werden, kann darauf hinwirken, zukünftige Probleme der Blasmusiker mit ihren Zähnen zu vermeiden.

Vorschläge zur Individual- und Gruppen-prophylaxe bei Blasmusikern/Innen außerhalb der zahnärztlichen Praxis

In den Musikschulen und -hochschulen, in denen die Basisausbildung in Form von Gruppen- und Individual-Unterricht für Amateure und Berufsmusikerinnen und -musiker stattfindet, wird auf die Aufklärung über die Wichtigkeit der Zahnerhaltung für die Ansatzsicherung bisher wenig Wert gelegt. Dies ist u.a. daran ablesbar, daß für Kinder keine Unterweisungen und für Studierende keine Vorlesungen und Seminare zum Thema „Mundhygiene“ angeboten werden. Die Bestände der Bibliotheken hinsichtlich dieser Thematik sind ebenfalls lückenhaft. In der Bibliothek der staatlichen Musikhochschule Trossingen beispielsweise fanden sich gerade 6 Artikel und Bücher mittleren bis kleinen Umfangs hierzu, in der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung kein einziges Buch. Es ist zu empfehlen, daß Zahnärzte oder z.B. Dental-Hygenists oder Zahnmedizinische Fach-helferinnen in Vorlesungen, Seminaren und Workshops eingeladen werden und zum Thema „Mundhygiene“ referieren. Bei der Teilnahme an einem Trompeterseminar konnte festgestellt werden, daß außerdem das Bedürfnis der Musiker groß ist, mit einem Zahnarzt außerhalb der Praxis spezielle Problematiken des Zahnersatzes bei Blasmusikern zu besprechen. Die Initiative zu den Referaten kann dabei durchaus von der Seite der Zahnärzte ausgehen.
Des Weiteren ist zu empfehlen, daß in den Übungsräumen der Schulen Aufklärungstafeln angebracht werden, auf denen in anschaulicher Weise die Folgen von frühzeitigem und altersbedingtem Zahnverlust beschrieben werden. Besondere Gewichtung ist darauf zu legen, den Musikerinnen und Musikern die Eigen-verantwortung für ihr „Betriebsmittel Zähne“ bewußt zu machen. Beispiele aus der Praxis, bei denen die Wiederherstellung der Musizier-fähigkeit nicht oder nur wenig zufriedenstellend gelungen ist, können die Wichtigkeit der Zähne für den Ansatz deutlich machen.
Mit Hilfe von Merkblättern und Informationsmaterialien wie z.B. Videos sollten Hinweise zur gesunden Ernährung und zur Lebensführung gegeben werden. Darin sollten die modernen Möglichkeiten der Individual-Prophylaxe mit Eigenkontrolle, intensiver Zahnpflege, Zahnseide, Interdentalbürsten, Munddusche etc. einen breiten Raum einnehmen.

Bei der Anamnese und Befunderhebung spielt die Frage nach dem Beruf der Patienten und daraus herzuleitender Probleme vor, während und nach der Behandlung leider nur eine ungeordnete Rolle. Aus der angeführten Literatur und den Fallbeschreibungen ist die Notwendigkeit eines speziell auf Musiker ausgerichteten Anamnesebogens einsichtig. Dieser kann auch das Antragsformular der gesetzlichen Krankenkassen zur Parodontalbehandlung ergänzen.
Vorschlag für einen speziellen Anamnesenbogen für Blasmusiker/Innen

Spielen Sie Blasinstrumente? Welche?

Profi oder Amateur? Wieviele Stunden am Tag üben/spielen Sie regelmäßig? Bitte getrennt angeben!

Beschreiben Sie Probleme, die mit Ihren Zähnen, den Lippen, dem Mund, dem Kiefer oder Kopf- und Halsmuskulatur o.ä. während oder nach dem Spielen aufgetreten sind.

Betreiben Sie nach Ihrer persönlichen Ansicht bessere, gleich gute oder schlechtere Zahnpflege im Vergleich zu Nichtmusikern?
Gab es vor diesem Zahnarztbesuch Beeinträchtigungen Ihres Spielvermögens während oder nach zahnärztlichen Behandlungen? Welche?

Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, daß Sie nach dem Verlust einzelner oder aller Zähne Ihre musikalische Karriere eventuell beenden müssen?
Berufsmusiker: Wenn Sie den Beruf aufgeben müssen, haben Sie dann andere Möglichkeiten der Berufsausübung in Aussicht?

Amateur: Welchen Stellenwert hat die Musik in Ihrem Leben?

Zusätzliche Beobachtungen während der Anamnese

Sind Habits vorhanden? Können diese in Relation zum Spielen des Instruments stehen?

Besonderheiten bei der Befunderhebung bei Blasmusikern/Innen

Ist die Frage nach dem Spielen eines Instruments positiv beantwortet worden, sollte sich vor der notwendigen dentalen Therapie - gleichgültig ob kieferorthopädisch, konservierend, chirurgisch oder prothetisch - eine genaue, hinsichtlich bläsertypischer Probleme erweiterte, Befund-erhebung anschließen. Hierbei sollte den folgenden Punkten besondere Bedeutung zugemessen werden:

1. Zahnstellung (besonders: Rotationen, Pro-tusionen, Diastema)
2. Lockerungsgrad der Zähne
3. Klopfempfindlichkeit bei sagittaler oder ver-tikaler Belastung
4. eventuell avitale Zähne (besonders in der Front)
5. Engstände oder Lücken in der Front und/oder den Stützzonen
6. Läsionen an den Lippen, der Zunge, der Mundschleimhaut (Impressionen, Herpes, Rhagaden, Furunkel, Cornua entanea, Ulcer-ationen)
7. Malokklusionen (eugnathe oder dysgnathe Verzahnung, offener Biß, tiefer Überbiß, Kreuzbiß)
8. Parodontale Auffälligkeiten (z.B. Retraktion der Gingiva bei einzelnen oder allen Zähnen)

Unterstützt werden kann diese Befunderhebung - wenn Zeit und Gelegenheit vorhanden ist - dadurch, daß der Musiker/die Musikerin sein/ihr Instrument im Beisein des Zahnarztes spielt. Hierbei kann der behandelnde Zahnarzt eventuell bereits beurteilen, inwieweit durch die Therapie die Lage des Mundstücks im Mund beeinflußt werden und wo die besonderen Anpassungs-schwierigkeiten liegen könnten.

Im Rahmen der Befunderhebung soll auch das Problem des richtigen Zeitpunkts der Ausbildung für Kinder und die oft angeführten Eignungs-faktoren für Blasmusiker angesprochen werden. In verschiedenen Arbeiten kommen die Autoren im Rahmen von klinischen und experimentellen Studien über Eignungs- und Risikofaktoren bei Blasinstrumentenschülern zu dem Ergebnis, daß die meisten Kinder aus stomatologischer Sicht zum richtigen Zeitpunkt ausgebildet werden. Allerdings wird angegeben,daß der Anteil der Klarinetten- und Trompetenschüler, die mit der Ausbildung vor dem 10.Lebensjahr begannen, relativ hoch ist. Da das Wurzelwachstum zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen ist, ist die Belastung auf die Zahnkronen sehr groß. Es wird dazu geraten, den Ausbildungsbeginn auf einen späteren Zeitraum zu verschieben und einen Zahnarzt zu Rate zu ziehen.
Ein stark ausgeprägtes Lippenbändchen führt im Oberkiefer häufig zu einem Diastema. Die Behandlung während oder nach Durchbruch der seitlichen Inzisivi mit Durchtrennung und kleiner Einzelnaht sollte immer vor der Ausbildung auf einem Blasinstrument erfolgt sein.

Von der Seite der Zahnärzte und der Musiklehrer sollte den Legenden, die sich - insbesondere unter Musiker - um das Thema „Anatomische Probleme“ , d.h., ob die Form und Stellung der Front und die Form und Größe der Zahnbögen und der Zunge sowie der Verzahnung, überhaupt ein Spielen ermöglichen, entgegen getreten werden. Der bekannte Trompetenlehrer Malte Burba schreibt, daß er noch nie einen Fall gesehen hat, wo anatomische Probleme ein Spiel auf Blechblasinstrumenten behindert haben. Jeder Mensch, der Essen, Trinken und Sprechen kann, ist von seiner Anatomie aus in der Lage, ein Blechblasinstrument zu spielen. Bei der oft gehörten Behauptung, die Anatomie würde instrumentale Fähigkeiten limitieren, handelt es sich fast immer um ein vorgeschobenes Argument. Dies gilt mit Einschränkungen: ein enger Zahnbogen kann dazu führen, daß das Mundstück größer als der Zahnbogen ist und dadurch die Luft an den Seiten entweicht.
Auch andere Autoren kommen zu ähnlichen Ergebnissen und beschreiben nur den extremen Überbiß als hinderlich und als Grund, dem Schüler zu einem anderen Instrument zu raten. Genauer wird ein frontaler Überbiß von 4 mm als kritisch für das Spielen von Blechblas-instrumenten angegeben.
Wenn die Anamnese beim Erstbesuch eines Patienten in der zahnärztlichen Praxis „Berufs- oder Amateurmusiker“ zum Ergebnis hat, sollten besondere Maßnahmen in Ergänzung zur Behandlung in Erwägung gezogen werden.

SITUATIONSMODELLE
Für alle Blasinstrumentalisten, insbesondere aber für Blechbläser, kann aus den geschilderten Fällen der Schluß gezogen werden, daß Situationsmodelle eine unerlässliche Hilfe bei einer notwendigen, z.B. durch eine Unfall bedingten, Rekonstruktion sind. Diese sollten in möglichst regelmäßigen Abständen (mindestens einmal pro Jahr) erneuert werden. Der Behandler sollte den Musiker anweisen, die Modelle sorgfältig aufzubewahren und bei Tourneen oder auswärtigen Konzertauftritten mitzuführen.

In mehreren der geschilderten Fälle wurde von den Patienten die Überbelastung der Zähne und der Parodontiums bei Musizieren beschrieben. Dieses wurde in den Befunden bestätigt. Deshalb bieten sich spezielle Behelfe, die instrumentenspezifisch sein müssen, zur Behandlung an. Dazu gehören

AUFBISSSCHIENEN FÜR HOLZBLATT-
INSTRUMENTALISTEN

Noch 1967 wurde in England die Anfertigung eines Schildes aus Guttapercha oder Silikon-Gummi empfohlen, welcher Impressionen in der Mucosa der Unterlippe durch scharfe Kanten der unteren Inzisivi (entstanden durch Schmelzfrakturen bei Unfällen, Bruxismus oder einfache Abrasionen) verhindern sollte. Durch den Druck der Mundstück-Unterseite, die die Unterlippe auf die Inzisivikanten drückt, entstehen beim Musizieren starke Schmerzen. Heute bieten sich Aufbißschienen, die aus Ethylencopolymerisat und Vinylacetat bestehen, an. Diese können im eigenen Labor von der ZMF oder von Hilfspersonal angefertigt werden und erfordern vom Musiker keinen terminlichen Aufwand.
Aufbißschienen für die frontalen temporären Aufbisse bei Holzblattbäsern dürfen nur im Unterkiefer angefertigt werden und nur bis zum 2. Prämolaren reichen. Es empfiehlt sich die Anfertigung mit Hilfe von Gesichtsbogen-übertragung und Kieferrelationsbestimmung in einem halbindividuellen Artikulator, damit so die individuelle Kieferrelation festgehalten wird. Aufbißschienen können und sollten über die Zeit des Spielens bzw. Übens hinausgehend getragen werden. Sie verhindern dann, daß aufgetretene Druck- und Zugkräfte nachträglich zu Positionsverschiebungen der Zähne führen können. Die Tragezeiten (bis zu 14 Stunden pro Tag) von in der Kieferorthopädie eingesetzten „Retainern“ ist dabei aber nicht anzustreben, dürfte auch sicher nicht toleriert werden.
Zu beachten ist, daß die Bereiche der Bänder von Zunge und Lippen freibleiben und der Rand an allen Stellen glatt ausgearbeitet sein muß, damit keinerlei Möglichkeit zur Irritation der Schleimhaut besteht. Ein Musiker wird seine Aufbißschiene sonst nur widerwillig oder gar nicht tragen.
Bei der Auswahl der Schichtdicke muß berücksichtigt werden, daß ein Bläser bzw. eine Bläserin, der/die vorrangig Repertoire aus der sogenannten Ernsten Musik spielt, während des Spielens sowohl beim Üben aber auch beim Konzertauftritt relativ statisch in seinen Bewegungen ist. Dies bedeutet: Es wird in sitzender Haltung ohne große Ganzkörper-bewegungen und mit nur geringer Emphase intoniert. Eine Aufbißschiene aus in einer Dicke von 1,00 oder 1,50 mm ist als Aufbiß und Schutz für die Unterkieferfront ausreichend. Ganz anders beim Jazz oder bei der Pop-Musik: Ein wichtiges Wesensmerkmal dieser Musik besteht darin, zur Intonation und Improsivation entsprechende stark emotional geprägte Bewegungen des Körpers auszuführen, etwas, was beim Üben, besonders eindringlich aber bei den Bühnenauftritten und Darbietungen im Rundfunk und Fernsehen der Fall ist. Dadurch ist die Belastung über die Muskulatur, Zahnhalteapparat auf die Zähne und damit auf die Schiene ungewöhnlich groß. Eine Verwendung von ERKODUR-C, ein hartes klares Material mit einer Schichtdicke von 2,5 mm bietet sich an. Die früher benutzen Doppelschicht-platten, die aus einer harten Schicht (Styrol-Butadien-Copolymerisat) von 1,5 mm und einer elastischen Schicht von ebenfalls 1,5 mm bestand, ist kontraindiziert, weil durch die ständige punktförmige Belastung die weiche Schicht zu den Rändern weggedrückt wird und die harte Oberschicht bricht. Bei der Herstellung im Tiefziehverfahren sollte beachtet werden, daß die Isolierung des Modells mit Alginat-Isolierung oder Silikonspray die Durchsichtigkeit der Schiene erhält und somit auch die Ästhetik, die beim Bühnenauftritt keineswegs nebensächlich ist, ansprechend ist. Besonders bei Nahaufnahmen des Fernsehens ist dies ein sehr wichtiger Aspekt.
In der Literatur wird ein dentaler Ansatzschutz als Hilfsmittel für Klarinettisten und Saxophonisten - aus Polyvinyl-Chlorid gefertigt - beschrieben. Dieser hat die Form eines Unterkieferbißwalles und die Stärke einer Wachsplatte. In einem Fall wurde dieser von einem Musiker, der den Ansatzschutz in Ausnahmefällen bei langer Spieltätigkeit trug, als angenehm beschrieben.

Bei Flötisten, die bei ausgedehnter Spieltätigkeit über Muskelverkrampfungen im Bereich von Maxilla und Mandibula bis hin zu Kiefergelenkssymptomen, klagen, ist eine apparative Therapie in Form von Aufbißschienen wie bei Kiefergelenkserkrankungen möglich. Allen Flötisten ist die Notwendigkeit einer ausgiebigen Lippenpflege - auch in Form von Medikamenten, die aus dem Bereich der Homöopathie stammen können, nahezulegen.
Bei den Oboe- und Fagottspielern üben die Lippen auf die Schneidezähne einen Druck in sagittaler Richtung aus. Um der Zerstörung des knöchernden Zahnbetts entgegen zu wirken, wird von einigen Zahnärzten eine abnehmbare, während des Spielens zu tragende Schiene empfohlen. Im progredienten Zustand kann sogar zu einer fixen Schiene, die zusätzlich zur üblichen Parodontalbehandlung indiziert ist, geraten werden.

Die Möglichkeiten, den Blechbläsern mit Behelfen die Spieltätigkeit zu erleichtern, sind begrenzt. Bei diesen sieht man - besonders bei Verwendung eines schmalrandigen Mundstücks oft eine bürzelartige Verdickung am Filtrum. Diese ist von einem blassen Halbkreis umgeben, wie er u.a. bei den Trompetern Louis Armstrong und Jon Faddis zu sehen ist.
Der spezifische Druck des Mundstücks nimmt mit zunehmender Mundstückgröße ab. Hierbei nehmen die Werte von 0,483 kg/cm2 beim Horn bis hin zu 0.106 kg/cm2 bei der Tuba ab. Manchmal können schuppenartige Plättchen oder bis zu erbsengroße Exkreszenzen auftreten, die sich mit dem scharfen Löffel ablösen lassen (sogenannte Cornua entanea), wobei es zu starkem Bluten kommen kann. Nur am Rande der Unterlippe tritt häufig ein derbes schmerzloses Knötchen auf, das ohne Schmerzen mit der Hinterlassung einer leicht schuppenden Stelle abfallen kann (prälabialer Abortivfurunkel). Die Schmerzlosigkeit wird auf die Unterempfindlichkeit der Trompeterunterlippen, die ihre Ursache in einer chronischen Stauungshyperämie hat, zurückgeführt. Unter der Schleimhaut können Varizen auftreten.
Der Befund mit trockenen Lippen und ausgetrockneter Mundschleimhaut kann darauf hinweisen, daß die Einatmungsluft nicht durch die Nase, sondern durch die Mundwinkel trocken eingesogen wird. Leichte Verhornungen auf der Mundschleimhaut sind oftmals die Folge. Als Therapievorschläge sollten folgenden Hinweise gesehen werden: Blechbläser sollten während des Übens und Spielens viel

KOHLENSÄUREFREIES TAFELWASSER
zu sich nehmen, um einem Austrocknen der Lippen und Schleimhaut vorzubeugen. Sicher muß regelmäßiges Üben jeden Tag möglichst im gleichen Zeitraum mit nicht zu großer zeitlicher Ausdehnung einem unregelmäßigen dafür aber extensivem Üben vorzuziehen sein. Damit ergibt sich ein gleichmäßiges Training für die Muskulatur der Lippen und der Gefahr von Läsionen wird vorgebeugt. Die Pflege der Lippen mit Vaseline und mit speziellen Medikamenten ist für viele eine Selbstverständlichkeit, muß aber im Einzelfall durchaus angemahnt werden.

Der ANSATZKONTROLLER ist ein wirksames Mittel für Blechbläsern aller Hörner, sich an die veränderten Bedingungen nach geringfügigen Form- und Stellungsveränderungen im Frontzahnbereich zu gewöhnen. Die Ansicht des gezeigten Patienten, ein Blechbläser soll nach jeder Veränderung (konservierend oder prothetisch) niemals in der Praxis mit dem Instrument oder auch lediglich dem Mundstück seinen Ansatz prüfen, sondern mit dem Ansatzkontroller ohne Spieltätigkeit mehrere Stunden oder Tage die Lippen trainieren, wird nach negativen Erfahrungen bei Ansatzkontrollen in der Praxis für diese Klasse der Instrumente geteilt.
Liptrainer (nach Königsberg) oder auch andere Behelfe wie Lippenhantel und Lippenexpander sind als Mittel zur Wiedererlangung der Spielfähigkeit nach zahnärztlicher Versorgung untauglich. Diese dienen lediglich zur Kräftigung der orbitalen Muskelgruppe.

PHYSIOTHERAPIE
Über die dentale Therapie hinaus sollten die Zahnärzte die physiotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten, die, z.B. die Heilgymnastik, bieten kann, nicht aus dem Auge verlieren, und sie können durchaus zum Gelingen einer Versorgung beitragen. Die richtige Kopf-, Nacken-, Schulter- und Körperhaltung hilft, Muskelspannungen und -zerrungen zu vermindern. Auch können Dehnübungen für die Lippen, die Wangen und für die Unterkiefermuskulatur angeordnet werden, die helfen können, Myalgien zu verhindern.

Die Möglichkeit, bei Blechbläsern die Mundstücke nachträglich zu

VERGOLDEN, wenn starker Befall mit Konkrementen und extremer Speichelfluss vorhanden ist, kann erfolgreich angewendet werden; diese sollte jedoch nur vorgenommen werden, wenn keine Füllungen aus Nicht-Edelmetallen vorhanden sind oder Totalprothetik angefertigt worden ist. Der Vergoldung durch einen Galvanisierungsbetrieb ist gegenüber der Anfertigung im zahntechnischen Labor der Vorzug zu geben. (Ansäuerung der Metalloberfläche und computergesteuerte Bäder ergeben eine dauerhafte Vergoldung)
Die Fallbeschreibungen von Blasmusikern aller Instrumentenklassen weisen über die individuellen Problemfelder auf allgemeingültige Aussagen hin.
Dazu gehören die folgenden Faktoren: Eine zahnärztliche Therapie in festsitzender oder herausnehmbarer Konstruktion (Kombinations-arbeit oder Modellguß) sollte bei Blasmusikern nicht in Zeiten physischer und psychischer Anspannung (z.B. vor Vorstellterminen, Konzerten oder Studioaufnahmen) erfolgen. Die Behandlungszeit sollte - wenn möglich - in die Ferien der Berufsmusiker oder auftrittsfreie Zeit der Amateurmusiker verlegt werden.
Dem Behandler sollten die Auswirkungen selbst kleiner konservierender Leistungen im Frontzahngebiet - insbesondere im Oberkiefer - auf den Ansatz bewußt sein. Er sollte die Musiker als Experten ansehen und die Schwierigkeiten in zurückhaltender, kollegialer Weise besprechen und - wenn notwendig - bei mehrmaligen Sitzungen versuchen, diese zu beheben.

Ziel einer zahnärztlichen Behandlung muß bei einem Blasmusiker die Wiederherstellung des Zustands vor der Behandlung sein. Kosmetische Veränderungen sollten nur auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten mit dem Hinweis auf mögliche Folgen für die Blastüchtigkeit erfolgen. Dabei bietet sich die Möglichkeit an, Langzeitprovisorien anzufertigen. Erfolge der Behandlung mit festsitzenden Langzeitprovisorien in Kombination mit einer Aufbißschiene beweisen, daß auch psychisch labile Patienten durch eine umfangreiche Behandlung in ihrer Berufsausübung nicht notwendigerweise eingeschränkt werden müssen.

Blasmusiker aller Instrumentenklassen benötigen mit oder ohne Zahnverlust - so lange wie möglich - einen festsitzenden Ersatz. Dieser ermöglicht gegenüber der ursprünglichen Bezahnung die geringfügigsten Veränderungen in Form und Stellung der Zähne. Der finanzielle Aspekt muß dabei für den Musiker in den Hintergrund treten.
Bei Zahnverlust im Frontzahn- und Prämolarenbereich ist eine möglichst stabile Verankerung z.B. mit gegossenen und gefrästeten Stegpfeilerverbindungen notwendig. Teleskop-arbeiten sollten auch primär verblockt werden und möglichst mit Drehriegeln versehen sein, um einen sicheren Sitz der Prothese zu erreichen.

Total-Prothetik

Die Schub- und Hebelkräfte, die beim Blasen von Instrumenten (hier besonders bei Blechbläsern) auftreten, sind in mehreren umfangreichen Arbeiten beschrieben und unter stationären Bedingungen gemessen worden. Bei druckstarkem Ansatz ist die aus Richtung und Größe resultierende Kraft überschwellig, das heißt, sie hebelt den prothetischen Ersatz vom Kieferkamm ab. Dieser Kraft entgegenwirken kann ein guter Funktionsrand, der Unterdruck, der beim Ansaugen der Prothese entsteht und eventuell eingesetzte Hilfsmittel wie Haftpulver oder -crèmes. Da die Molaren beim Blasen nicht in Okklusion sind, entfällt der Okklusalkontakt als Mittel zur Fixierung.
Deshalb sind Totalprothesen bei Trompetern, Posaunisten, Hornisten und anderen Blechbläsern in nur seltenen Fällen ohne Probleme bei der Spieltätigkeit. Insofern hat die Behauptung aus dem Jahre 1923 auch heute - wenn auch mit Einschränkungen - Gültigkeit. Diese betreffen die technischen Fortschritte, die die Musiker gemacht haben: Der nach dorsal gerichtete Ansatzdruck, der zu Druckbeschwerden im Bereich des vorderen Prothesenrandes führen kann, ist heute von vielen Musiker während der musikalisch-technischen Ausbildung durch den fast drucklosen bzw. druckschwachen Ansatzes ersetzt worden.

Die Blasprothesen, die in der Schweiz angefertigt wurden und propagiert werden, besitzen die Form von Totalprothesen mit einem Aufbißwall im Molarenbereich. Dieser erspricht in der Höhe etwa der Ruhe-Schwebelage mit leichter Protusion des Unterkiefers. Die Aufbißwälle können durch 2 oder 3 schiefe Ebenen verzahnt werden und drücken so die Prothese in Richtung Kieferkamm. In ähnlicher Weise, jedoch ohne Aufbißwälle, erfüllt auch die Blasprothese im Behandslungsfall 2 ihren Zweck.
Ob die elastischen Blashilfen aus weich-bleibendem Kunststoff ein taugliches therapeutisches Konzept darstellen, konnte der Autor nicht verifizieren. Hingegen bieten die beschriebenen Fälle Anlaß zur Behauptung, daß die Belassung des alten Zahnersatzes mit seinem Gewohnheitseffekt, eventuell eine Unterfütterung zusammen mit Hilfsmitteln wie Haftcrèmes oder -pulver und eine Neuanfertigung einer zusätzlichen, reinen Sprech- und Essprothese, in bestimmten Fällen die Therapie der Wahl sein kann. Die Tolerierung in mehrenen Fällen spricht dafür.

Fazit

Die prothetische Behandlung von Bläserinnen und Bläsern wird wegen der gestiegenen Zahl von ausgebildeten Musikern und der höheren Lebenserwartung aller Menschen in Zukunft häufig auf die Zahnärzte zukommen. Der Aufklärung über prophylaktische, berufs-spezifische Maßnahmen für Musiker sowie einer neu einzurichtenden Gruppenprophylaxe kommt besondere Bedeutung zu. Eine gezielte Anamnese und genaue Befunderhebung ist gerade bei Musikern, bei denen die Zähne ein wichtiges Betriebsmittel sind, wichtig. Aufbißschienen und Behelfe sind in die Therapie einzubeziehen. Solange wie irgend möglich ist ein festsitzender Zahnersatz bei Blasmusikern anzufertigen. Für den Erhalt der Spieltüchtigkeit bei Verlust einiger Zähne bieten sich stabile herausnehmbare Konstruktionen an (Stegpfeilerverbindungen, Teleskope mit zusätzlichen Drehriegeln), die am besten die auftretenden Kräfte weiterleiten können. Bei Totalprothetik kann die Umarbeitung der vorhandenen Prothese mit ausgeprägter Randabdämmung ohne Verzahnung im Molarenbereich das Mittel der Wahl sein. Zusätzlich ist selbstverständlich eine neue Ess- und Sprechprothese mit den Regeln der Zahnersatzkunde entsprechenender Okklusion anzufertigen. Der Wechsel zwischen den Prothesen wird in der Regel toleriert.

Dr. med.dent. Michael Frohne hat während seiner 20 Berufsjahre viele Profi- und Amateurmusiker aller Altersklassen konservierend, chirurgisch und prothetisch versorgt. Außerdem wurden von ihm über 80 Konzerte organisiert und mehrere Bücher, Zeitschriftenartikel und Kritiken im Bereich Jazz verfaßt. In der Musikproduktion ist er als „Promoter“ tätig.


Eine Literaturliste wird auf Anfrage gerne zugesandt.
Kontaktadresse:
Dr.Michael Frohne
Litscherweg 7
D-88662 Überlingen
Tel. 07551 83 11 874

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