Blue Note Jazz auf Audiophilen LP’s
Die Plattenfirmen, die nach wie vor Jazz in ihren Verkaufskatalogen anbieten, konnte man noch vor zwei oder drei Jahren laut jammern hören: Die neue Generation von Jazzhörerinnen und -hörern wollte die historisch wichtigen Aufnahmen der Musiker aus den 60iger Jahren nicht kaufen. Stattdessen verzeichneten die Firmen immense Absatzzahlen bei wiederaufgewärmten Hard-Bop-Phrasen der Shooting-Stars der 90iger.
Unbestritten: damit der Jazz nicht anfängt zu stinken, müßen die lebenden und heute gefeierten James Carters, Wynton Marsalisse, Joshua Redmen (Der Plural ist bewußt benutzt!) volle Konzertsäle und volle CD-Fächer in den Musikshops haben.
Aber etwas mehr Mut zu Neuerungen, etwas mehr Pfeffer, ein paar die Ohren öffende Dissonanzen könnten sich diese Cracks doch leisten, ohne daß (Achtung! Zitat! Satire! „bei einer solchen nervtötenden Kakophonie“) die jungen Jazz-Grufties gleich von ihrer Freundin zur Festivalbar abgeschleppt werden.
Inzwischen hat sich die Situation für die Jazzhörerinnen und die Plattenfirmen verbessert: So müßte man einen kompletten Lottogewinn ausgeben, um das gesamte Jazzprogramm eines einzigen Versandgeschäftes wie "True blue" zu kaufen. Im 64-seitigen Katalog finden sich immerhin auch 2 Seiten mit audiophilem Vinyl. Darunter die Label Impulse, Classic Records mit u.a. Columbia und Verve, Analogue Productions mit Contemporary und auch die 180gr Pressungen von Mosaic, liebevoll editiert, nur über den Versand erhältlich und echte Sammlerraritäten.
Den zahlenmäßig grössten Anteil machen dabei die Klassiker des Labels Blue Note aus. Die 2 Filme und die sich überschlagenden positiven Kritiken sind direkt verkaufsfördernd. (Die Discofreaks können nachvollziehen, wer die Schnipsel aus "Song for my father" komponiert und im Original gespielt hat, die Jazzfreaks sind eher enttäuscht, wenn die Live-Auftritte nach 10 Sekunden abgewürgt werden - Soweit die Kurzbesprechung!)
Über die neu erschienenen Blue Note LP’s sollten sich junge und alte Disco- und Jazzgrufties gleichermaßen freuen: die einen, weil sie endlich einen Jackie McLean, Grant Green oder Freddie Hubbard so rauscharm wie möglich auf dem historisch richtigem Format - nämlich der LP - entdecken können. Und die anderen, weil sie entweder ihre uralte deep-groove-Blue-Note-Mono-LP mit dem Aufdruck: 767 Lexington-Avenue und 47 West 63rd verschenken oder in den Glasschrank stellen oder die einzige Lücke bei den ca. 400 Blue Note LP’s endlich nach 30 Jahren schließen können. Die Importfirmen bieten die Möglichkeit dazu, auch wenn die Vertriebe immer wieder mal wechseln. Zumal die Platten in der gleichen Preisgruppe wie die CD’s liegen und man hier 2 Blue Notes im Originalcover für deutlich weniger Geld bekommt, als für eine Mobile Fidelity Sound, Verve- oder Atlantic Neupressung berappt werden muß. Ein kleiner Tip am Rande: Kaufen Sie die Platten, sobald sie in den Regalen der Plattengeschäfte auftauchen, es könnte ansonsten passieren, daß diese schon wieder ausverkauft sind und Sie 2 oder 3 Jahre warten müssen, bis die Firma eine Neuauflage startet.
In den Kritiken werden auch discographische Informationen z.B. über Aufnahmedaten, Titel, Produzenten etc. und bisherige Veröffentlichungen geliefert. Diese werden leider nicht immer korrekt und vollständig auf den Coverrückseiten genannt.
Jackie McLean Destination out
Grachan Moncur (tb) Jackie McLean (as) Bobby Hutcherson (vib) Larry Ridley (b) Roy Haynes (dr)
Love and hate / Esoteric / Kahil the prophet / Riff Raff
Aufnahme: 20.September 1963 Englewood Cliffs, N.J.
Ingenieur: Rudy van Gelder / Produzent: Alfred Lion
Blue Note 32087 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4165 (mono) / BST-84165 (stereo)
Es war bereits die 11. Aufnahmesitzung unter der Regie von Jackie McLean, diese „Destination out“. Und auch wenn das Ziel der Reise - mit heutigen Ohren gehört -, so weit draußen gar nicht war, die Musik ist alles andere als gefällig. Deftiger Hardbop reinsten Wassers, die eher statischen Themen treten schnell in den Hintergrund und reines Vergnügen bei den breitgefächerten Improvisationskünsten aller Mitwirkenden wird erfahrbar. Die langen Spielzeiten grenzen nicht ein, andererseits verhindert die begrenzte LP-Laufzeit das Verlaufen und erzwingt die Rückkehr zum Thema.
Nicht immer hat der Experte für Wiederveröffentlichungen im Hause Capitol Michael Cuscuna eine glückliche Hand bei der Auswahl der Studios für die Remasterings gehabt. Hier gibt es keinen Grund zur Beschwerde. Auch die Fertigung läßt keine Wünsche offen: satt auf dem Plattenteller aufliegend, die Nadel wandert ohne Hindernissrennen durch die 2 Rillen, es zischt nicht und das Grundrauschen ist zu überhören. Meine Nachpressung von 1975 ist dumpfer, weist störendes Lagerfeuergeknister auf und wurde durch schwere Tonarme mit Stecknadeln statt Abnehmersystemen mißhandelt. Schlußbemerkung: „Destination out“ ist nicht in der Mosaic-Box mit Jackie McLean Aufnahmen von 1964 enthalten und ist damit ein echtes Zubrot für die Sammlung.
Dizzy Reece Blues in Trinity
Dizzy Reece (tp) Donald Byrd (tp) Tubby Hayes (ts) Terry Shannon (p) Lloyd Thompson (b) Art Taylor (dr)
Blues in trinity / I had the craziest dream / Close-up / Shepherd’s serenade / Color blind / ‘Round about midnight
Aufnahme: 24.August 1958 Decca Studios, London, GB
Ingenieur: Burt Stephens / Produzent: Tony Hall
Blue Note 32093 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4006 (mono) / BST 84006 (stereo)
LP’s vom Mann aus Jamaica fallen Ihnen nicht bei jedem 2.Flohmarkt in die Finger. Die Aufnahmen für Blue Note aus dem Jahre 1958 in England gemacht, sind die ersten für eine namhafte internationale Firma gewesen. 2 weitere für Blue Note (hoffentlich erscheint die bislang unveröffentlichte Session vom 3.April 1960 mit Art Blakey endlich!) eine für Prestige sollten noch folgen. (Für Ergänzungen bin ich dankbar: die Futura-, Honeydew-,Bee Hive- und Interplay-LP’s kenne ich nur aus Katalogen! )
Die eher ungewöhnliche Frontline mit 2 Trompeten und 1 Tenor hebt die Platte klanglich deutlich von anderen Blue Note Produktionen ab. Die Idee, mit Donald Byrd einen entschieden einfallsreicheren Mann dazuzunehmen, gefällt mir, macht aber auch die Grenzen des improvisatorischen Einfallsreichtums von Dizzy Reece prägnanter. „Round midnight“ mit Tubby Hayes als Solisten ist grandios und gehört in den Jazzolymp.
Für die Pressung gilt das Gleiche wie bei der Jackie McLean LP; einen Vergleich mit reiferen Pressjahrgängen kann ich nicht anbieten, weil die LP eine bisher freigehaltene Lücke bei den Blue Note Raritäten schließt.
Grachan Moncur III Some other stuff
Grachan Moncur III (tb) Wayne Shorter (ts) Herbie Hancock (p) Cecil McBee (b) Anthony Williams (dr)
Gostic / Thandiwa / The twins / Nomadic
Aufnahme: 6.Juli 1964 Englewood Cliffs, NJ
Ingenieur: Rudy van Gelder / Produzent: Alfred Lion
Blue Note 32092 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4177 (mono) BST 84177 (stereo)
Ray Charles und das Jazztet von Art Farmer und Benny Golson waren die ersten Stationen des heute leider vergessenen (lebt er noch? spielt er noch?) Posaunisten Grachan Moncur. Ungewöhnlich, daß ein Newcomer auf der Scene gleich eine LP für das anerkannte Blue Note Label aufnehmen konnte. Die Firma hatte 1963 begonnen, sich der Avantgardisten anzunehmen und Ornette Coleman und Eric Dolphy waren neben Wayne Shorter Garanten für das Weiterleben des Jazz, indem sie unter Einbeziehung der anerkannten Strukturen, den harmonischen Improvisationsfolgen neue Freiheiten eröffneten. Die Rhythmusgruppe mit Hancock, McBee und vor allem dem jungen Tony Williams war in der Lage, auch bei 12/8 Takten zu swingen. Erwarten Sie keinen typischen Hard-Bop, öffnen Sie Ohren und Verstand und die Platte wird zum Genuß. Die Neupressung liefert knackfreies jungfräuliches Vinyl (so wird es tatsächlich von uns Machos genannt!) und ist die obligatorische Spur lebendiger im Sound als die CD. Und nur ca. 3 DM teurer.
Lee Morgan Lee-way
Lee Morgan (tp) Jackie McLean (as) Bobby Timmons (p) Paul Chambers (b) Art Blakey (dr)
These are soulful days / The Lion and the Wolff / Midtown blues / Nakatini suite
Aufnahme: 28.April 1960 Englewood Cliffs, NY
Ingenieur: Rudy van Gelder / Produzent: Alfred Lion
Blue Note 32089 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4034 (mono) / Blue Note BST 84034)
Hier begegnet uns Jackie McLean wieder: als Sideman mit dem als Clifford-Brown-Nachfolger gefeierten Lee Morgan. Musikalisch wird das gesicherte Hard-Bop-Parkett wiedergefunden, der Blues ist Ausgangspunkt der Kompositionen (wobei besonders „These soulful days“ von Cal Massey, der dafür zu Recht im Hüllentext gefeiert wird, den Status eines „Standards“ verdient hätte) und der Drive von Arturo - Misses Blakey’s only son, that’s me - wie er sich bei seinen witzigen Konzertabsagen genannt hat, puscht die 4 anderen vor sich her. Gerade deswegen liebe ich meine alte Deep groove Mono LP so, die zwar in den Höhen leicht übersteuert ist, aber bei weitem mehr Druck als das elektronisch ver-stereote Re-issue in die Boxen bringt. Presstechnisch gibt es nichts zu bemängeln, der Monomodus der alten Platte ist aber unschlagbar und es wäre besser gewesen, das Mono-Original-Tape ohne Nachbearbietung in Ruhe und unverfälscht zu lassen. Musikalisch fehlt so ein bißchen der Zusammenhalt in der Formation, ein weiterer Probentag hätte vielleicht ein homogeneres Gruppenbild ergeben. Kleine Anmerkung: Das Cover ist beim Original orangefarben gewesen und nicht rot wie bei der Nachpressung!
Grant Green Green Street
Grant Green (g) Ben Tucker (b) Dave Bailey (dr)
No.1 Green Street / ‘Round about midnight / Grant’s dimensions / Green with envy / Alone together
Aufnahme: 1.April 1961 Englewood Cliffs, NJ
Ingenieur: Rudy van Gelder / Produzent: Alfred Lion
Blue Note 32088 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4071 (mono) / Blue Note BST 84071 (stereo)
Genau so viel Platz wie die Begleitmusiker hier lassen, benötigt ein so vielseitiger Guitarist wie Grant Green. Das hat mich an ihm immer so fasziniert: diese immense stilistische Bandbreite. Ich muß zugeben, mein Lieblingsinstrument ist der Darm- und Stahlseiten-Schwinger nie gewesen und es gibt wenige (Wes Montgomery, Barney Kessel) die ich eine ganze Plattenseite genießen kann. Bei Grant Green quält man sich nicht durch die 20 Minuten, von den späten LP’s mit ihren Funk-Versuchen abgesehen. Ohne Bläser, die seinen Ideenreichtum eher behindert hätten, laufen die 3 Originalkomposition und 2 Standards leichtfüssig durch die Boxen. Wären da nicht manchmal die überflüssigen ostinaten Riffs, müßten 5 Sterne vergeben werden. Die Fertigung ist hervorragend; die Abmischung gefällt mir nicht, weil sie zu höhenbetont daherkommt. Alles in allem ist die LP die 27 DM wert. Trotzdem werde ich mich hüten, mein Mono-Original herzugeben.
Freddie Hubbard Ready for Freddie
Freddie Hubbard (tp) Bernard McKinney (euphonium) Wayne Shorter (ts) MyCoy Tyner (p) Art Davis (b) Elvin Jones dr
Arietis / Weaver of dreams / Marie Antoinette / Birdlike / Crisis
Aufnahme: 21.August 1961 Englewood Cliffs, NJ
Ingenieur: Rudy van Gelder / Produzent: Alfred Lion
Blue Note 32094 (Limited Edition audiophile Pressung, 180gr Virgin Vinyl) (Orginial: Blue Note BLP 4085 (mono) / Blue Note BST 84085 (stereo)
1961 war Freddie Hubbard kein Nobody mehr und auch Wayne Shorter war nicht minder bekannt. Beide gleichermaßen als Komponisten als auch auf ihren Instrumenten. Und heute? Der Trompeter hat seine Ausflüge in den Kommerz hinter sich, widmet sich wieder der Improvisation, der Saxophonist macht gerade das große Geld bei einem Plattenmajor. Bei diesen Aufnahmen, die klanglich durch die Hinzunahme der kleinen Tuba gewonnen haben, öffnet die Rhythmusgruppe die Freiräume und selbst der Standard „Weaver of dreams“ wird von einer Freejazzballade zu einem leichten up-Tempo geführt. Mit Horro(r)skopfirlefanz: Der erste Titel (Arietis dem Widder entsprechend) gibt die Eigenschaften Neugierde, Pioniergeist und Wandlungfähigkeit von Freddie Hubbard wieder. Diese LP ist die Entdeckung wert, auch weil sie schwierig zu finden gewesen ist und jetzt eine neue Facette in der Karriere aller beteiligten Musiker eröffnet.
Die Pressung ist super. Stereo/Mono Probleme gibt es hier nicht, im Studio gab es schon eine Stereomaschine.
Meine 70iger Jahre Nachpressung ist von heute an für mich ungenießbar geworden.
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