Dienstag, 2. Februar 2010

Original oder Fälschung von Udo Neubauer

Teil 1
In einer Zeit, in der die Suche und der Wunsch nach Schönheit kritisch beäugt, in Schubladen versenkt, dem reinen Gewinnstreben geopfert wird, füllen sich die Reihen der Plattensammlergemeinden zusehends mit neuen, meist jungen Mitgliedern. Daß hierbei insbesondere der Bereich Jazz profitiert, ist mehr als erfreulich und eine klare Absage an die Anspruchslosigkeit vieler heutiger Musikkonsumenten.
Der Tonträger Schallplatte ist in all seinen Bestandteilen Mittler zur Zeit; durch musikalische Inhalte ebenso wie durch die Form der qualitativen und künstlerischen Umsetzung des Produktes selbst. Nun liegt in der Zeit keine Kunst begründet, sondern in den Künstlern selbst, die ihrerseits jedoch durch die jeweiligen Gegebenheiten und vorherrschenden zeitgeistigen Strömungen in Sprache und Ausdruck geformt werden.
Schallplattensammeln heißt im idealen Falle: dokumentieren und musikhistorische Entwicklungen skizzieren und darstellbar machen. Daß hierbei die Musik im Vordergrund steht, bedarf wohl keiner Erwähnung. „Musik ist ein Transmissionsriemen der Phantasie und ein Träger von Ideen.“ Dieser Satz des Essayisten Werner Bräuninger ist sicher zutreffend, allerdings gehört zu einem ästhetischen Verständnis die Gesamtheit aller möglichen Informationen und Eindrücke. Diese wiederum sind in voller Gänze meist nur durch die originalen Tonträger der jeweiligen Zeit vermittelbar. Nur wenige Sammler werden sich dem Flair einer DeLuxe Hülle entziehen können, die gar im Vergleich zur Verpackung einer neueren Tonträgergeneration, deren funktionale Häßlichkeit sofort ins Auge springt, als qualitativer und künstlerischer Quantensprung erscheint. Es ist also kein Wunder, wenn das Sammeln von Jazzschallplatten immer mehr Freunde gewinnt. Daß hierbei die Originalpressungen bevorzugt werden, ist ebenfalls verständlich. Sei es durch die häufig bessere akustische Wiedergabe oder durch die stetige Wertsteigerung.

Was aber ist eine Erstpressung, wie erkennt man eine solche ? Diesen Fragen werden wir in Folgenden auf den Grund gehen, und ich denke, es wird sich auch für bereits erfahrene Sammler lohnen, zumal wir bei dem Bemühen um eine exakte Datierung von Schallplattenpressungen noch fast in den Kinderschuhen stecken. Wohlgemerkt, die Betonung liegt auf exakt !
Nun sind in den letzten Jahren einige wenige Arbeiten zum Thema erschienen; mehr oder minder brauchbar, mit vielen Fehlern und noch mehr Auslassungen, sind sie jedenfalls Schritte in die richtige Richtung. Wir werden diese Werke am Schluß dieser Abhandlung noch einer kritischen Würdigung unterziehen. Betrachtet man die Handbibliothek, die einem Philatelisten zur Verfügung steht, mit all den Spezial und Abartenkatalogen einschließlich Farbenführern und Wasserzeichen Aufstellungen und dergleichen mehr, die zur genauen Datierung und somit Wertbestimmung herangezogen werden können, wird schnell klar, wo wir auf unserem Gebiet stehen.
Die nachfolgende Explikation wird die Basis bilden für Einzeldarstellungen der Plattenfirmen, die im Anschluß an diesen Beitrag erscheinen werden.

Welche Platten bezeichnet man als Original ?

Es gibt wohl kein Wort, das unter Plattensammlern so inflationär und mißbräuchlich verwendet wird, wie der Begriff „Original“. Was ist nun aber eine Originalpressung ? In der allgemein üblichen Begriffsdefinition ist ein Original eine beliebige Platte aus der Gesamtzahl einer Erstproduktion, wobei der Titel erstmalig in diesem Format hergestellt wurde. Die Platte war also vorher in dieser Form nicht existent! Daraus ergibt sich in der Schlußfolgerung, daß es auch von einer 33er Langspielplatte mit wieder veröffentlichtem 78er Material Originalpressungen gibt, obwohl es sich bei den Aufnahmen ja nicht um Erstveröffentlichungen handelt. Allerdings können wir bei den Originalen dieser Editionen nicht von Erstpressungen sprechen. Es gibt andere Begriffserklärungen, die als Original immer nur die erste Ausgabe eines bestimmten Titels bezeichnen. Nach dieser Definition gäbe es beispielsweise von der RCA Vintage Serie keine Originale. Das ist einfach absurd ! Zumal es natürlich auch von dieser Serie eine ganze Reihe von Nachpressungen gibt, die auch als solche verhältnismäßig einfach zu erkennen sind. Weiterhin enthält die Folge auch noch einige bis dahin unveröffentlichte Titel. Die Verwirrung wäre also in diesem Falle ziemlich umfassend.
Es ist nur logisch, wenn wir folgendes feststellen: Die Platten einer ersten Pressung, z.B. einer 10"/25cm Blue Note sind als Originale zu bezeichnen, obwohl sie 78er Material beinhalten. Gleiches gilt selbstverständlich für die erste Veröffentlichung dieser Aufnahmen auf dem 30cm Format. Die Erstpressungen dieser Einspielungen sind allerdings die Schellacks.
Die Bezeichnung „Ori¬ginal“ sollte auch nur für diejenigen Tonträger Verwendung finden, die aus dem ursprünglichen Herkunftsland stammen, also den Heimatland des Mutter¬labels, auf dem die Erstveröffentlichung vorgenommen wurde. Hier gibt es Ausnahmen, die aber quantitativ so geringfügig erscheinen, daß sie im Kon¬text dieser Abhandlung getrost übergangen werden können.
Die ersten Aus¬gaben auf Lizenzbasis im jeweiligen Ausland werden mit dem entsprechenden Staatenkürzel versehen. Also: D , NL , US , F Original usw.. Wobei zu beach¬ten ist, daß die Ausgaben in einem zeitlich zu tolerierenden Rahmen zum Original erfolgen. Einige europäische Editionen, gerade von US Produktionen aus den fünfziger Jahren, wurden erst geraume Zeit nach den Originalen her¬ausgegeben. Eine LP, die mit einer „Verspätung“ von drei bis vier Jahren er¬scheint, wird man nicht mehr mit (z.B.) NL Original betiteln können; hier ist vielmehr die Bezeichnung „erste NL Veröffentlichung“ angebrachter.

Was aber ist nun mit einer Pressungsreihe, die aufgrund unvorhergesehen starker Nachfrage nur kurze Zeit nach der Erstauflage hergestellt wurde ? In diesen Fällen haben wir es ja so sollte man annehmen mit fast iden¬tischen Produktionsbedingungen zu tun: gleiches Presswerk, noch vorhandene Etiketten, unter Umständen sogar noch die gleichen Matrizen, unveränderte PVC Mischungen in der bereits verwendeten Menge, dieselben Hüllen usw. Und spätestens hier fangen die Probleme an. Nach der obigen Definition sind diese Platten natürlich keine Originale mehr, sondern Zweitpressungen (nicht zu verwechseln mit Wiederveröffentlichungen/Reissues). Im allge¬meinen gehen diese Scheiben als Originale durch, da ja auch die Primär¬kennung, sprich das Label, meist deckungsgleich ist. Noch vor nicht all zu ¬langer Zeit wurde nämlich (wenn überhaupt) nur nach dem Etikett begutach¬tet, vorausgesetzt das entsprechende Original-label-design war bekannt. Erfreulicherweise sind aber meist doch nicht alle Merkmale absolut deckungs¬gleich. Allerdings, und der aufmerksame, mitdenkende Leser wird es sofort erkannt haben: hier türmen sich die zu lösenden Probleme geradezu auf. In den folgenden Abschnitten werden wir versuchen, in dieses Sammelsurium von Fragen und Problemen ein wenig Ordnung zu bekommen.

Einen weiteren Aspekt, der fast ausschließlich US amerikanische Pressungen betrifft, gilt es in diesem Kapitel noch kurz anzureißen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Flächenstaat von ca. 9,4 Millionen Quadratkilometern Größe. Es liegt auf der Hand, daß jeder nur einigermaßen kauf¬männisch denkende Firmeninhaber versucht, die Vertriebswege so kurz wie nur irgend möglich zu gestalten. Das würde beispielsweise für ein New Yorker Label bedeuten, gleichfalls Presswerke und Druckereien im Westen des Landes mit Aufträgen zu versehen. RCA zum Beispiel hatte Presswerke in Indianapolis, Rockaway und in Hollywood; die übrigens alle an den ent¬sprechenden Buchstabenkennungen, die in der Auslaufrille angebracht sind, leicht zu identifizieren sind. Bleiben wir bei RCA und nehmen an, eine be¬stimmte Platte wurde nun gleichzeitig in allen drei Werken gefertigt, so haben wir hier selbstredend drei als Originale anzusehende Pressungsreihen, die aber, außer den verschiedenen Presswerkskennungen in der Auslaufrille, weitere unterschiedliche Merkmale aufweisen können, die sehr leicht zu einer Einstufung als Zweitpressung führen. Ich denke, dieses Beispiel verdeutlicht recht anschaulich die Problematik, die sich hieraus ergibt.

Ein genaues Datierungsraster ist also auszuarbeiten, das alle relevanten Daten der jeweiligen Plattenfirma inklusive Aufnahmestudio, Presswerk etc. ¬hinsichtlich der Problemlösung zielgerichtet, tabellarisch in chronologischer Folge listet. Davon sind wir allerdings noch sehr weit entfernt.

Wege zur Datierung - Fragestellung zur Ausarbeitung einer Methodik

Festzustellen ist das Herstellungsdatum einer Platte und zwar so exakt wie nur irgend möglich. Die Frage muß also lauten: Welche vorhandenen Infor¬mationen, die wir auf dem Tonträger (Platte/Cover) vorfinden bzw. die wir uns erschließen (z.B. durch die Ermittlung der Coverstärke oder des Gewich¬tes der Platte selbst etc. sowie relevanter Daten der Firmengeschichte), können wir uns zielgerichtet im Sinne der Fragestellung nutzbar machen?

Gehen wir davon aus, daß die Gestaltung und die Herstellung des Produktes Schallplatte in allen seinen Teilen in erster Linie kommerziellen Gesichts¬punkten unterworfen ist. D.h. es gibt (fast) keine b e w u ß t gesetzten Informationen, die uns auf Anhieb eine korrekte zeitliche Einordnung er¬möglichen würden. Es wäre ja auch zu einfach gewesen.
Vielen Plattenge¬sellschaften und Firmeneignern war sicherlich bewußt jedenfalls im Jazz/ Klassik Sektor , daß sie ein Kulturgut schufen, welches über den Tag hinaus von Bedeutung sein würde. Daß aber Erstpressungen und Originale als Zeit¬dokumente eine derartige Faszination für Sammler darstellen könnten, so daß sie mittlerweile als Kleinantiquitäten anzusprechen sind, diesen Weit¬blick hatten freilich nur wenige. Ein Vergleich mit dem Buchverlagswesen mag zwar etwas hinken, illustiert aber drastisch die Einstellung und den Stellenwert, der dem eigenen Produkt zugemessen wurde. Jeder Verlag, der einigermaßen auf sich hält, versieht seine Erstausgaben mit einem ent¬sprechenden Vermerk bzw. bezeichnet genauestens die jeweilige Auflage, meist mit der Höhe der gedruckten Exemplare. Selbstverständlich, und teil¬weise sogar gesetzlich vorgeschrieben, ist ebenfalls die Angabe der Dru¬ckerei sowie des Erscheinungsjahres, häufig gar mit der Monatsangabe. Im Jahre 1980 forderte die Internationale Vereinigung der Schallarchive (IASA) sowie die Internationale Vereinigung der Musikbibliotheken (IAML) letztmalig die Tonträgerhersteller auf, neben Interpret, Autor und Titel auch Aufnahmeort und Datum, Spielzeit, Namen von Aufnahmeleiter, Tonin¬genieur, Produzent und dergleichen Daten mehr auf den Plattentaschen zu veröffentlichen, um den Wert einer Tonaufnahme als Quelle wissenschaft¬licher Arbeit zu erhöhen (1). Ein sehr lobenswertes Ansinnen, wenn auch von Pressungsdatierungen nicht die Rede war. Die Ermittlung dieser Anga¬ben sowie deren Einordnung und Bewertung bzw. der Weg dorthin soll nun im einzelnen erläutert werden.

Natürlich kennen wir inzwischen von den meisten Plattenfirmen die in den einzelnen Zeitabschnitten verwendeten Label/Etiketten. Da aber bei vielen Firmen über einen längeren Zeitraum hinweg die gleichen Label benutzt wurden, müssen wir uns an die oben bereits erwähnten Merkmale halten und diese, so gut es eben geht, in den entsprechenden Zeitrahmen einpassen. Unabdingbar hierfür ist normalerweise die Kenntnis bestimmter Produktions¬weisen und verfahren sowie die labelspezifischen Eigenarten. Zur Er¬langung dieser Informationen wäre der Einblick in die Firmenarchive sofern diese überhaupt vorhanden sind notwendig. Durch Einsichtnahme in Schrift¬verkehrsunterlagen und Auftragsvermerke etc. wäre genau festzustellen: Mit welchen Presswerken und Druckereien wurde in welchem Zeitraum ge¬arbeitet, welche Auflage wurde erstellt, wo wurde aufgenommen, wo und von wem wurde das Mastering vorgenommen und so weiter? Viele relevante Fragen könnten im Handumdrehen gelöst werden. Mit einiger Sicherheit ist aber anzunehmen, daß nur bei wenigen Firmen diese Unterlagen noch vorhanden sind und wenn ja, wahrscheinlich nicht mit einem archivwürdigen Register¬- oder Indexapparat zu erschließen sind. Das sind freilich nur Vermutungen meinerseits, allerdings habe ich bis dato noch von niemandem gehört, der Quellenstudien in dieser Richtung vorgenommen hat. Discographen, denen der Zugang zu Archiven von Plattengesellschaften gewährt wurde, haben den hier behandelten Gesichtspunkten bislang keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt.
Da man aber es ist fast wie in der Archäologie Vergleichsobjekte und daten benötigt, die klar in einen chronologischen Ablauf einzuordnen sind, müssen wir uns die erforderlichen Daten anderweitig besorgen. Hauptquelle für firmengeschichtliche Informationen sind nach wie vor die zeitgenössischen Fachperiodika. Dazu aber später.
Wenden wir uns zuerst den Ankerinformationen, also den primären und spezifischen Datierungswerk¬malen auf den Tonträgern selbst zu, mit denen die historischen Angaben verbunden werden können.

1. Primäre Datierungshilfen

1. 1. Die Außenhülle
Häufig sieht man auf Plattenbörsen Sammlerfreunde, die offensichtlich nach Originalen Ausschau halten und z.B. bei jeder Blue Note- oder Impulse¬-Scheibe das Label prüfen, obwohl für den erfahrenen Sammler schon rein äusserlich ersichtlich ist, dass es sich nicht um eine ältere Ausgabe handeln kann. Allein die Coverbeschaffenheit wie Verarbeitung, Druckqualität etc. verraten also schon einiges. Vielfach erübrigt sich somit sogar das Betrachten der Rückseite. So gesehen können erfahrene Sammler bei einer ganzen Reihe von Platten eine Vorauswahl auch „blind“ durchführen, d.h. in diesem Falle, ohne objektive Prüfung der anderen Kennzeichen.

Ich bin mir durchaus der Problematik bewußt, die durch die beliebige Aus¬tauschbarkeit der drei Informationsträger: Cover, Innenhülle und Platte gegeben ist. Rein wissenschaftlich gesehen, ist eine Schlußfolgerung aus einer unsicheren Quellenlage nicht geeignet für exakte und wasserdichte Er¬gebnisse. Die Ergebnisse müssen also in Relation zu anderen Befunden gesetzt werden, um die jeweilige Schlußfolgerung zu erhärten. Da Schallplatten aber in aller Regel (abgesehen von Kleinstauflagen, und bei denen gibt es ja nichts zu deuteln) wenigstens zu einigen Hundert hergestellt wurden, haben wir hier, jedefalls theoretisch, einige Vergleichsdaten zur Hand. Mal abgesehen vom recht häufigen Fehlen der ursprünglichen Innenhülle, ist ein Austausch der einzelnen Bestandteile eher als Ausnahme zu bezeichnen. Allerdings kann ich aus jahrzehnetlanger Erfahrung sagen: Es gibt nichts, was es nicht gibt !
Wie ja bereits eingangs erwähnt, spielen bei der Her¬stellung einer Schallplatte selbst fast ausschließlich ökonomische Fak¬toren eine Rolle, d.h. konkret: Sind von der Erstauflage noch weitere Außenhüllen am Lager, werden diese bei einer Nachpressung natürlich erst aufgebraucht. Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Teile, bis hin zu den Etiketten. Diese Erkenntnis muß Grundlage aller Datierungsbemühungen sein und trifft selbstredend auch auf die Abhandlungen der weiteren Teilaspekte zu. Um ermüdende Wiederholungen zu vermeiden, soll hiermit letztmalig mit Ausrufungszeichen darauf hingewiesen werden!

Welche Informationen sind nun auf einem Schallplattencover vorzufinden, und was ist daraus zu ersehen oder zu schließen?
Beginnen möchte ich mit dem Label Code, denn er ermöglicht uns eine klare zeitliche Trennung. Der Label Code (LC) wurde 1974 eingeführt, um eine schnelle Zuordnung der im Rundfunk gesendeten Musiktitel zwecks Tantiemenabrechnung zu ermöglichen. Dieser Code befindet sich auf der Coverrück¬seite sowie auf dem Etikett; allerdings nur auf den für den deutschen Markt vorgesehenen Tonträgern. Also auch zum Beispiel auf holländischen CBS Pressungen, da die CBS nach 1970 nicht mehr in Deutschland fertigen ließ. Nun könnte man folgern, daß alle deutschen Pressungen ohne LC¬-Nummer vor 1974 hergestellt wurden , dem ist leider nicht so. Einige Kleinfirmen (und nicht nur die) begannen erst zögerlich mit der Einführung des Label Codes. So wurden manchmal nur die Bemusterungsexemplare (Promos) manuell mit einem LC Aufkleber versehen. Diese Verfahrensweise findet man heute noch bei ausländischen CD Produktionen, die für den Rundfunkeinsatz in Deutschland vorgesehen sind. Da die LC Nummer für den Normalkunden ja weiter keine Bedeutung hat, ist dies verständlich.
Fassen wir also zu¬sammen: Eine Platte mit Label Code ist mit Sicherheit nach 1973 hergestellt worden. Den Umkehrschluß sollte man freilich nicht ziehen! Die „LC Geschichte“ steht nicht ohne Grund am Anfang, denn sie ist (fast/ meistens) die einzige Angabe auf der Außenhülle, die ohne weitere Ver¬gleichsinformation auswertbar ist.

Was dem Betrachter einer Plattenhülle zuerst ins Auge fällt, ist natürlich die Covergestaltung das Design. Viele größere Firmen, die einen umfang¬reichen Katalog zu betreuen hatten, versuchten natürlich, bei einer Neu¬auflage die Verpackung ihres Produktes dem jeweiligen Zeitgeist und Mode¬trend anzupassen. Als exemplarisches Beispiel möge hier Prestige dienen; mit einer Vielzahl von Coverdesignänderungen bei identischem Inhalt. So berichtet der Produzent Bob Porter über seinen ehemaligen Chef: „My mentor, Bob Weinstock, the founder of Prestige Records, had drummed into my mind the basic philosophy behind reissues. Each succeeding generation of jazz fans would be interested in the classics of the era. Update the packaging, use fresh liner notes but dont make too many jackets !“ (2) Weinstock galt, wie viele unabhängige Labeleigner seiner Zeit, als ausgesprochenes Schlitzohr, und die Annahme, daß durch die völlige Coverdesignänderung dem Kunden suggeriert werden sollte, eine bislang noch nicht veröffent¬lichte Aufnahme zu erwerben, läßt sich nicht so einfach von der Hand weisen, zumal heute noch viele Sammler darauf reinfallen und erst zuhause bemerken, daß sie die Aufnahmen schon besitzen.
Wie auch immer, die Regel war jedoch vielmehr, im Hinblick auf eine baldige Nachpressungsreihe mehr Plattenhüllen in Auftrag zu geben, als für eine Erstauflage notwendig gewesen wären. Sehr viele Zweitpressungen, die kurz nach der Erstedition hergestellt wurden, liegen deshalb in Plattentaschen der ersten Generation. Diese Verfahrensweise wurde querbeet bei allen Firmen angewendet.
Natürlich hatten einige der großen Plattengesellschaften ihre eigenen Dru¬ckereien und Fertigungsvorrichtungen zur Herstellung von Plattenhüllen, Eti¬ketten usw.. Die kleinen unabhängigen Firmen aber, und darunter fallen so gut wie alle Label, die schwerpunktmäßig Jazz vertrieben, mußten ihre Auf¬träge an „freie“ Druckereien vergeben, und von denen gab es Mitte der fünfziger Jahre in den Staaten nur neun, die in der Lage waren, solche Aufträge überhaupt auszuführen (3).

1955 war die Hochzeit der Formatum¬stellung von 10"/25cm auf 12"/30cm Platten, und es liegt auf der Hand, daß die wenigen Druckereien völlig überlastet waren. Es wird bestimmt Jahre gedauert haben, bevor die Lieferengpässe behoben waren, zumal die Ver¬kaufszahlen für 30cm LPs in den darauf folgenden Jahren regelrecht explo¬dieren sollten. So mancher Produktionsleiter wird also mit verschiedenen Druckereien Verträge abgeschlossen haben. Was blieb ihm auch anderes übrig, wollte er seine Ware fristgerecht oder auch nur schnellstmöglichst auf den Markt bringen. Allerdings wird es wohl keine Produktionsteilung für einen einzigen Titel gegeben haben, das wäre auch völlig unwirtschaftlich gewesen. Wir können also mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Erstauf¬lage einer bestimmten Platte jeweils mit den Hüllen einer gleichen Her¬stellungsreibe ausgestattet wurde; deren Reste freilich, wie bereits oben angeführt, für die Zweitauflage Verwendung fand. Sofern sie nicht im Lager vergessen und später wieder aufgefunden wurden, um mit wiederum anderen Pressungen auf den Markt zu kommen. Verzweifeln Sie nicht! Gott sei Dank war das nicht die Regel. Trotzdem es gab in diesem Zusammenhang so gut wie nichts, was denkbar ist, und in irgendeiner Form nicht schon mal aufgetaucht wäre. Gute Beispiele hierfür bietet mal wieder das Label Prestige. Man schaue sich die als Billigreihe konzipierte Status Serie an und staune ! Dieses Wirrwarr ist als Ausnahme anzusehen und ist auch nur bei den in Frage kommenden Firmen zu berücksichtigen; häufig nur bei bestimmten Serien oder auch nur bei einzelnen Nummern.
Neben den erwähnten, auch für den oberflächlichen Betrachter offensicht¬lichen Unterschieden wie eben die einer völligen Änderung des Coverde¬signs, kommen wir nun zu den weiteren Merkmalen, die bei einer Unterschei¬dung von Pressungsgenerationen hilfreich sein können. Hierzu gehören Farbänderungen und Qualitätsunterschiede beim Druck. Details, denen bis¬lang, wenn denn überhaupt, nur periphere Bedeutung beigemessen wurde. Ferner das Vorhandensein einer Glanzbeschichtung bzw. die Verarbeitungs¬weise dieser Laminierung. Der Verpackungsart sollte gleichfalls Beachtung geschenkt werden. Einige Erstveröffentlichungen waren mit einem Klapp¬cover ausgestattet, wohingegen eine spätere Ausgabe nur in einer Einzel¬tasche ausgeliefert wurde.
Der Covergröße, der Verarbeitung und der Stärke der bei der Herstellung Verwendung gefundenen Pappe fallen ebenso in wachsendem Maße Bedeutung zu.
Zu diesen Hinweisen, die produktionstechnisch bedingt waren, gehören die unterschiedlichen Methoden der Hüllenfertigung; zweifellos eine Qualitäts¬indikation und somit eine Frage des Geldes. Einige Einmannlabel, wie beispielsweise Arhoolie, konnten sich mit ihren Miniauflagen anfänglich keine teure Hüllenherstellung leisten und benutzten handelsübliche Neu¬tralhüllen, auf die dann ein bedrucktes Informationsblatt in Handarbeit mit Tapetenkleister aufgebracht wurde (4). Auch etwas größere Betriebe wie Moses Aschs Folkways Records bedienten sich für ihre Kleinauflagen dieser Bootlegtechnik. Wobei man zur Ehrenrettung von Asch hinzufügen muß, daß er einer der ersten war, der den Produkten seiner diversen Label Beilagen mit Informationen und Texttranskriptionen hinzufügte; übrigens teilweise von erheblichem Umfang.
Von diesen wenigen Exoten abgesehen, kann man verallgemeinernd feststellen, daß die meisten Plattentaschen von US Jazz¬Produktionen aus den 50er und 60er Jahren qualitativ einem hohen Standard entsprachen, der später nicht mehr erreicht und wahrscheinlich auch nicht mehr angestrebt wurde. So ergeben sich reichlich Unterschiede, die zur Zeitbestimmung auswertbar sind. Hierzu gehört auch die oben bereits erwähnte Stärke der Pappe und oft unbeachtet das Aussehen des Coverrückens (nicht zu verwechseln mit der Rückseite), der eben durch die unterschiedlichen Produktionsweisen mal stark ausgeprägt dick durch den Einschub eines Pappstreifens (Riverside etc.) oder flach durch eine einfache Rückenfaltung (frühe Blue Note, frühe ECM etc.) erscheint. Bei letzterer Machart wurde meist auf eine Rückenbeschriftung verzichtet oder es erscheint, sofern die Druckvorlage des Titelblattes schon erstellt war, die Beschriftung auf der Vorder oder Rückseite der Hülle.
Plattentaschen, die aus Großbritannien, den skandinavischen Ländern, Frankreich oder den Bene¬luxstaaten kommen, haben gemeinsam oft eine primitive Laschen-verarbeitung.Die Vorderseite wurde mit Laschenflügeln versehen, die dann, je nach „Art des Hauses“, nach außen oder innen mit dem Rückseitenblatt verklebt wur¬den. Alle möglichen Mischformen sind hier entstanden, bis hin zu partiell flachgedrückten Coverrücken (frühe Musidisc, America etc.).
Ein gutes Beispiel für die Vielzahl der Taschenver-arbeitungstechniken bietet das Etikett Blue Note. Die nachfolgende Auflistung wird in der zeitlichen Ab¬folge der Verwendung dargestellt; also ab 1955 (für 12"/30en Alben) in aufsteigender Linie (5):

1. Unten geknickt, oben bündig; mit und ohne Rückenverstärkung.
2. Oben geknickt, unten bündig; mit und ohne Rückenverstärkung. Wobei diese beiden Techniken im Prinzip identisch sind und die unter 2. beschriebene in dieser Zeitspanne eher selten und als Ausreißer anzu¬sehen ist.
3. Am Rücken geknickt; Rücken erscheint flach, ohne Beschriftung.
4. Zwei Einzelteile; mit und ohne Rückenverstärkung.
5. Am Rücken geknickt, Vorderseite oben und unten mit Laschen versehen, die jeweils von innen mit der Coverrückseite verklebt werden. Bei einigen Herstellungsreihen sind die Klebelaschen halbkreisförmig verkleinert.
6. Unten geknickt, an der Oberseite eine ca. lOmm Lasche, die stoßgenau an das Rückseitenteil angepasst ist. Prinzip wie bei vielen japanischen Plattentaschen; erschwert das Durchschlagen der Platte.
7. Oben geknickt, sonst wie 6., vgl. Anmerkung zu 2.

Diese Aufzählung verdeutlicht sehr anschaulich den Stellenwert, der den diversen Verarbeitungstechniken beizumessen ist. Blue Note gehört sicher zu den schwierigsten Fällen in puncto Originalbestimmung, da in jeder Zeit¬spanne einer Pressungsgeneration eine Vielzahl von Nachpressungen her¬gestellt wurde, die in ihrer Labelprimärkennung identisch waren, so daß zur genauen Identifizierung weitere Faktoren eine erhebliche Rolle spielen.
Die meisten brauchbaren Informationen, die uns bewußt übermittelt werden, befinden sich, so sollte man annehmen, auf der Rückseite der Platten¬hülle. Dem ist fraglos auch so, jedoch wurden die Druckvorlagen hierfür nur sporadisch den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Es ist keine Selten¬heit, daß eine Plattenhülle mit einer veränderten Frontseite, aber noch mit dem ursprünglichen Rückseitendruck veröffentlicht wurde. Wohlgemerkt, wir sprechen hier über einen Herstellungszeitraum der maximal bis Ende der 70er Jahre reicht. Die Reissues dieser Platten, im originalen Cover¬design (nicht im Originalcover, wie man häufig lesen kann), die vorzugs¬weise in den achtziger Jahren veröffentlicht wurden, bereiten sicher niemandem Kopfzerbrechen.

Trotz allem Firmenanschriften wurden bei nächster Gelegenheit aktu¬alisiert; ab und zu auch mit entsprechenden Schildern überklebt. Die Handhabung der einzelen Gesellschaften in Bezug auf die Coverrückseite ist freilich für Verallgemeinerungen völlig ungeeignet. Hier gilt es, wie bei allen anderen Teilaspekten dieses Themenkomplexes, die labelspezi¬fischen Gepflogenheiten berauszuarbeiten und in den entsprechenden Zeit¬rahmen einzupassen.
Daß das Vorhandensein einer Adressenänderung ein wich¬tiger Hinweis ist, wird jedem einleuchten; zumal wir hierbei, unter Be¬rücksichtigung aller oben genannter Einschränkungen, den Herstellungszeit¬raum ab diesem Datum der Firmenverlegung rechnen können.

Einige Plattengesellschaften nutzten Teile der Hüllenrückseite als Werbe¬fläche für bereits erschienen Nummern ihres Programmes oder auch manchmal für einige in Vorbereitung befindliche Titel. Sofern eine bestimmte Serie aktuell fortgeführt wurde, sind bei einer erneuten Hüllenherstellung die Werbeankündigungen meist auf den neusten Stand gebracht. Haben wir also eine Platte vorliegen, deren Werbeankündigung weit über die Katalog¬-Nummer dieser Ausgabe hinausreicht, ist es mit Sicherheit kein Original. Überschreitungen um drei bis vier fortlaufende Nummern kommen teilweise auch bei Originalausgaben vor und sind somit zu billigen.
Eine Reihe von Gesellschaften benutzten bei Erstauflagen keinerlei Reklamekasten oder Einschiebungen, so daß eine Unterscheidung ebenfalls leicht fällt. Hier¬bei kann es sich um eine komplett, anders gestaltete Rückenansicht handeln oder auch nur um eine veränderte Textverteilung. In seltenen Fällen sind Abweichungen typographischer Natur auszumachen, die aber meist von unter¬geordneter Bedeutung sind, da sie oft im Verbund mit graviererenden Merk¬malen auftauchen, so daß sie allenfalls zur Erhärtung der Beweisführung ergänzend herangezogen werden können.

Eine Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Hüllentextes (Linernotes) gehört nicht hierher und würde nicht nur den thematischen Rahmen dieser Abhandlung sprengen. Dennoch kommen wir um die Linernotes nich herum. Wurden in den Jahren nach Einführung der Langspielplatte (1948, vorerst nur in den USA) meist nur nichtsagendes Blabla mit angeblich verkaufs¬förderndem Gewäsch auf die Hülle gedruckt (6), so folgten doch bald, vor allem bei Jazzproduktionen, Texte, die sich fachlich mit dem Inhalt be¬schäftigten. Die Angaben aus diesen Begleitinformationen sind freilich unter dem oben genannten Gesichtspunkt der häufig wiederverwendeten Druck¬vorlagen, mit Vorsicht zu bewerten.
Aus discographischer Sicht sind die Daten zur Besetzung sowie Aufnahmedatum und ort vorrangig von Interesse; denen in unserer Indizienkette nur untergeordnete Bedeutung beizumessen ist, da beide letztgenannten Daten nicht zwingend in umittelbare Verbin¬dung zu Herstellungsort und datum zu bringen sind.
Weit wichtiger hingegen sind personelle Hinweise auf die bei der Produktion beteiligten Auf¬nahmeleiter, Tontechniker und Schneideingenieure. Dies ist nicht nur von einem gewissen musikhistorischen Interesse, sondern führt uns auch ab und an zu Erfolgen bei der Dechiffrierung von Kryptonymen oder gar Krypto¬graphien, die in der Auslaufrille vieler Platten eingraviert sind. In einem Extrakapitel werden wir uns eingehender mit diesen Kürzeln be¬schäftigen.
Audiophil Begeisterte werden sich über die Angaben der bei den Aufnahmen Verwendung gefundenen Mikrophon Marken und Typen sowie deren Positionierung im Aufnahmestudio besonders freuen (Command, Contemporary,Time etc.). So interessant diese Daten aus anderer Sicht auch sein mögen, für unsere Zielsetzung sind sie nur von peripherischem Belang.
Von größerer Wichtigkeit sind Unterschiede in der räumlichen Aufteilung dieser oder anderer Vermerke oder aber auch nicht mehr vorhandene Daten, die bei identischen Vergleichsobjekten noch erschienen waren. Kurz, alle Indizien, die darauf hinweisen, daß eine neue Druckvorlage erstellt wurde. Hierbei ist die eventuelle Verschiebung des Rückseitenblattes durch pro¬duktionsbedingte Unregelmäßigkeiten zu beachten. So wurden vielfach Druck¬vorlagen einfach gekürzt, um Raum für zusätzliche Vermerke wie Stereo ete. zu schaffen.

Herkunftsnachweise auf Druckereibetriebe sind, falls vorhanden, weist am unteren Hüllenrand angegeben, manchmal auch durch überklebte Laschen verdeckt. Im Großen und Ganzen läßt sich sagen: Je aufwendiger eine Produktion kon¬zipiert und realisiert wurde, desto mehr verwendbare Daten sind auffindbar.
Wenden wir uns nun einem der am häufigsten miss-interpretierten Zeichen, die auf der Außenhülle zu finden sind, zu. Es handelt sich hierbei um ein „P“ welches in einem Kreis plaziert ist, gefolgt von einer Jahreszahl. Es handelt sich hierbei nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen wird, um ein Symbol, welches das Pressungsjahr benennt, sondern das Jahr der Pro¬duktion eines oder mehrerer Musiktitel. So kann es durchaus vorkommen, daß auf einer Kopplung (Sampler) eine ganze Ansammlung dieser Produktionsver¬merke aufgeführt ist, die übrigens auch auf dem Etikett und manchmal in der Auslaufrille erscheinen. Da Aufnahme und Pressungsdatum nicht selten dicht beieinander liegen (jedenfalls bei Konzeptalben), hat diese Datierung zweifelsohne eine gewisse Bedeutung, wenn auch nur bei sicher identifizierten Originalen. Vielfach wird auch bei einer Neubearbeitung von historischem Material die Jahreszahl dieser „Verschlimmbesserung“ nun als Produktions¬datum genannt.
Der früher zunehmend verklausulierten Prefix Kennung sowie den Katalog¬- und Bestellnummern Angaben werden wir uns in dem Label Kapitel widmen. ¬Sie können also hier erstmal beiseite gelassen werden.
Abweichungen oder Umgestaltungen des Firmenlogos sind zwar schon weiter vorne bei den verallgemeinerten Unterscheidungsmerkmalen der Druckvorlagen enthalten, sollen jedoch ihrer Bedeutung wegen nochmals audrück¬lieh erwähnt werden. Für sie gilt im übertragenen Sinne das Gleiche wie für Anschriftenänderungen oder ergänzungen etc. Da graphisch neu oder umgestaltete Logos meist wieder über einen längeren Zeitraum hinweg be¬nutzt wurden, läßt sich für diesen Abschnitt eine verbindliche Datierung erreichen. Häufig wurden diese Firmenembleme über eine ganze Produktionspalette eingeführt, zumindest aber für bestimmte Serien. Oft sind nur Kleinigkeiten von Wichtigkeit, die dem oberflächlichen Betrachter leicht entgehen können. Als passendes Beispiel kann das Impulse „Kompakt Logo“ gelten. Dieses kann sehr leicht mit dem darauffolgenden Logo verwechselt werden, da sich beide nur durch eine räumliche Trennung zwischen Impulse und ABC Kasten unterscheiden, aber für einen entsprechenden Zeitraum Original von einer Zweitpressung unterscheiden.
Sucht man ausschließlich nach einer Primärkennung für Originale und nicht nach einer genauen Datierung, kann man nach dem Vorfinden eines Ausscheidungskriteriums alle weiteren Hin¬weise außer acht lassen.

Wir unterscheiden also zwei Arten von Merkmalen, die selbstverständlich auch unterschiedlich zu bewerten sind. Zum einen die allgemeinen wie Adresse, Logo und so weiter, zum anderen die spezifischen Kennzeichen, die eben nur für eine bestimmte Platte gelten. Das heißt praxisbezogen: Haben wir zwei oder mehrere Platten des gleichen Titels vorliegen, deren Primärkennung (Adresse,Logo etc.) identisch sind, die sich aber bei den spezifischen Details unterscheiden, müssen wir nach den firmen bzw. titelrelevanten Kriterien weiter selektieren. Es ist sicher klar, und das gilt für alle hier behandelten oder noch zu behandelnen Punkte, daß dies in Übereinstimmung mit den Regeln der Logik zu geschehen hat.

Abschließend muß noch auf das Thema Herkunftsland eingegangen werden. Ein Thema, welches eigentlich überhaupt keines ist, denn die entsprechenden Vermerke sind nur in Ausnahmefällen nicht verzeichnet und selten zu über¬sehen. Und damit hat es sich doch wohl, oder? Im Normalfall sollten ja Platte und Cover aus dem gleichen Ursprungsland stammen. Daß dem aber nicht immer so sein muß, habe ich bereits mehrfach im Hinblick auf Plattenbe¬schreibungen für diverse Auktionslisten ausgeführt. Alte Hasen werde ich also diesbezüglich nicht mit Neuigkeiten überraschen können. In der Kon¬textur der Darstellung kann dieses Thema freilich auch nicht außen vor gelassen werden.

US amerikanische Label, die in den fünfziger und sechziger Jahren ihre Platten in Europa pressen ließen, sei es auf Lizensbasis oder bei einer Tochtergesellschaft, lieferten nicht selten die dazugehörigen Taschen aus der eigenen US Herstellung. So kommt es zu den unterschiedlichen Herkunftsangaben bei den einzelnen Plattenbestandteilen; häufig bei Impulse oder auch Blue Note/Liberty und anderen. Es ist also nicht, wie immer wie¬der mal gemutmaßt wird, ein böswilliges oder auch nur unabsichtliches Aus¬tauschen von Platte und Cover, sondern hatte Sie werden es schon erraten haben rein wirtschaftliche Gründe. So konnte man einerseits eine größere Anzahl Hüllen anfertigen lassen, was mit Sicherheit günstiger war als eine erneute Herstellung von, sagen wir mal, tausend Hüllen in Deutschland. Was bei einer Jazzplatte für den hiesigen Markt einer durchschnittlich guten Auflage entsprach. Die Frachtkosten für diese vergleichsweise leichten Plattentaschen werden die Kalkulation auch nicht gekippt haben. Anderer¬seits hatte man eine genaue „Hausnummer“ für die Abrechnung zur Verfügung. Eine nicht unbedingt vertrauensbildende Maßnahme, und so sind mir auch Beispiele dieser Art nach Mitte der Siebziger nicht mehr bekannt geworden.

Fälschungen zum Schaden des Sammlers (Counterfeits) sind im Jazz/Blues LP Bereich eigentlich sehr selten und sind fast immer sofort an einem miserabel nachgemachten Cover zu erkennen. So paradox es klingen mag, die technischen Möglichkeiten für eine exakte Reproduktion einer Hochglanz¬hülle wie in den fünfziger Jahren, sind heutzutage nicht mehr vorhanden. Jeder Sammler, der sich viel mit Originalen beschäftigt, hat auch im Laufe der Zeit einen Instinkt für die wichtigen Indikatoren entwickelt, der ihn nicht täuschen wird. Allein die Papier und Druckqualität ist oft vom Original sehr weit entfernt. Probleme bereitet die kriminelle Energie der Fälscher allenfalls dem Single Bereich, da diese einfacher originalnäher zu reproduzieren sind. Der Rhythm & Blues/Vocal/Doo Wop Sektor ist hiervon besonders betroffen, da Spitzenstücke nicht mehr unter einigen tausend Dollar zu bekommen sind (7).

Literaturverweise zum Thema Plattencover siehe Anmerkungen (8).

1. 2. Die Innenhülle

Die bereits oben ewähnte Problematik der beliebigen Austauschbarkeit der einzelnen Plattenteile gilt im verstärkten Maße, meist sogar ausschließlich, für die Innenhülle. Deshalb können die Informationen, die wir anhand des Inletts ermitteln können, keinesfalls als Eckpfeiler einer schlüssigen ergebnisorientierten Logistik angesehen werden. D.h. in der Hirachie der Beweismittel bezüglich ihrer Beweiskraft rangieren diese Daten ganz unten. Es ist freilich auch nicht einzusehen, weshalb vorhandene Informationen ignoriert werden sollen. Man sollte immer bestrebt sein, alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel bis zur Neige auszuschöpfen. Die Ergebnisse, die aus der Auswertung einer Innenhülle resultieren, können durchaus als zusätzliche Mosaiksteinehen in die Beweisführung eingefügt werden.

Da ein Nichtvorhandensein der ursprünglichen Innenhülle meist keine Aus¬wirkungen auf den materiellen Wert einer Platte hat, wird diese meist durch modernere und bessere Inletts ersetzt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aus¬nahmen mögen hier Hüllen sein, die eine kombinierte Funktion im Zusammenhang mit einem Gimmix Cover erfüllen. Es ist aber durchaus üblich und auch wün¬schenswert, bedruckte Innenhüllen, die den jeweiligen Zeitgeist dokumentieren, als Beilage im Cover zu belassen. Sehr viele graphisch gut gestaltete oder auch einfach nur mit farbigen Cover Abbildungen versehene Innenhüllen haben ihren eigenen Zauber, der für viele Sammler an den der Außenhülle heranreicht. Auch hierbei sind die fünfziger und sechziger Jahre meist un¬übertroffen. Was uns wiederum in dem Urteil über die später nur noch selten erreichten Qualitätsstandards bestärkt.

Wurden von manchen Gesellschaften anfänglich überhaupt keine Innenhüllen zum Verpacken der Tonträger eingesetzt, so gelangte man aber doch schon bald zu der Erkenntnis, daß hier eine immense Werbefläche nutzlos brach lag. Diese konnte verhältnismäßig einfach erschlossen werden und zudem noch als Schutz gegen Verschmutzung und gegen mechanische Beschädigungen Verwen¬dung finden. Abgesehen von einigen Kleinstlabeln wurden die Innentaschen von dem Gros der Plattenfirmen, wenn auch nicht flächendeckend, so doch recht häufig für Mitteilungen der unterschiedlichsten Art herangezogen. Die Skala reicht von einfach aufgelisteten Katalog Nummern mit Inter¬pretenangabe über schwarz weiße bis farbige Cover Abbildungen bis hin zu aufwendigen graphischen Wiedergaben. Auch ganzseitige Textpassagen sollten den Käufer über bestimmte Aufnahme oder Schneideverfahren unter¬richten (Stereo, 35mm Magnetic Film, Dynagroove ete.). Hier muß man RCA, Everest,Fantasy und World Pacifie hervorheben, denn eine ganze Reihe ihrer Inletts waren mit Jahreszahlen versehen oder sogar mit der Bestellnummer der inliegenden Platte.

Fast ebenso vielfältig sind die Materialien, die zur Herstellung eingesetzt wurden. Alle nur erdenklichen Papierarten und qualitäten waren im Gebrauch. Vom pergamentartigen bis zum Hochglanzmaterial reicht die Palette. Gefüttert und ungefüttert, ebenso Ganz PVC, transparent und milchig trüb, abgerundet und eckig, weich oder konsistent.

Neutrale Innenhüllen, auf denen keinerlei Angaben zu finden sind, können uns, abgesehen vom Material, keine Hinweise geben; außer vielleicht in der Form. Einige, vor allem amerikanische Firmen, verwendeten in den Siebzigern an den Ecken abgerundete Hüllen, weil sie einfach besser in die nach innen unsauber verarbeiteten Cover passten. Na gut, das hilft uns wahrscheinlich nur in Ausnahmefällen weiter, soll aber der Vollständigkeit halber nicht unterschlagen werden.

So kommen wir zu den Informationen, die mal mehr, mal weniger, in den unterschiedlichsten Formen auf den bedruckten Innenhüllen enthalten sind. Das Konglomerat der Daten und Angaben entspricht recht häufig denen der äußeren Plattentaschen und ist Sie haben es erraten genauso zu bewerten wie in dem vorangegangenen Abschnitt dargelegt. Als da wären: Firmenan¬schriften, Coverabbildungen, Herkunftsangaben, Logos, Benutzerhinweise, Herstellungsdaten und so weiter. Bestätigen die vorgefundenen Fakten unsere sonstigen Hinweise, so bilden sie eine durchaus brauchbare Untermauerung unserer Beweisführung, in welcher Richtung sie auch immer laufen mag.
Auch hier ein praxisnahes, weil häufig vorkommendes Beispiel: Blue Note benutzte in den Sechzigern verschiedene Innenhüllen, die auf den langen Bestand der Firma hinweisen sollten. So stand in der Kopfzeile „1939 1965 26 Years Blue Note“ oder entsprechend 1966: 27 Jahre etc. (9).
Produktionen, die bis zu diesem Zeitpunkt in der sogenannten „New York Zeit veröffentlicht wurden, hatten selbstredend das „New York Label“ als Primärkennung. Haben wir nun eine „New York Platte“, deren Erstpressung auf das Jahr 1963 zu datieren ist, mit dem 1964er „25 Years Blue Note Inlett,“, so sollte man entsprechend kritisch die weiteren Indikationen wie Earmark, Gewicht, evtl. Glanz Cover usw. prüfen. Dies gilt im erhöhten Maße bei Platten, deren Erstveröffentlichungen noch weiter zum „Hüllendatum“ diver¬gieren. Nun bedarf es keiner großen Phantasie, um sich vorstellen zu können, daß noch vorhandene Originale der Werbewirksamkeit wegen mit aktuellen Innenhüllen ausgestattet wurden. Einiges spricht für diese Verfahrensweise, desto wichtiger ist die akurate Bewertung der anderen Faktoren.

Jedem Schallplattenliebhaber, der sich seinen Sammel-objekten nicht nur mit offenen Ohren, sondern auch mit offenen Augen und Verstand nähert, sind schon diese merkwürdigen Zahlen und Buchstabenkolonnen, die häufig rechts unten auf den Innenhüllen vorzufinden sind, aufgefallen. Diese Kombi¬nationen sind meist nur bei Produktionen europäischer Firmen anzutreffen. Was aber bedeuten nun diese verschlüsselten Ziffernreihen ? Um es gleich vorweg zu gestehen, so ganz schlüssig kann ich diese Frage auch nicht be¬antworten. Zumal die Daten neben der Patent Nummer fast ausschließlich firmen und presswerkspezifisch der jeweiligen Verwaltungs und Lagerlo¬gistik zuzuordnen sind. Hier braucht es zur Dechiffrierung die speziellen Basisinformationen, die natürlich von Firma zu Firma grundverschieden sein können. Falls ein Leser zu diesen Fragen weitere Angaben machen kann, so würde mich das außerordentlich freuen, da hier eine bisher unbeachtete Möglichkeit zur Zeitbestimmung vollkommen brach liegt. Wir werden einem ähnlich gelagerten Problem bei der Behandlung des Abschnittes >Informationen in der Auslaufrille< noch einigen Raum zugestehen müssen. Ab etwa Mitte der siebziger Jahre erschienen erstmals Zahlen, die mit dem Jahr der Herstel¬lung in Einklang gebracht werden können. D.h. die Jahreszahl erscheint zweistellig in der jeweiligen Chiffrierung; z.B.: 49 12000 1025.1 24.73. Diese Reihe verschlüsselt wahrscheinlich den Auftraggeber (Label), den Titel, weiterhin die oben schon erwähnten spezifischen Angaben innerbe¬trieblicher Natur sowie eben die Jahreszahl; in diesem Falle 73 für 1973.

Fassen wir zusammen: Sind alle Kriterien für eine Zuordnung in einen labelspezifischen Zeitabschnitt erfüllt, d.h. sind die materiellen und technischen Gepflogenheiten stimmig und passt Design und Form, können wir mit einiger Sicherheit behaupten, daß eine vorgefundene Innenhülle als originaler Bestandteil der Platte anzusehen ist. In einem solchen Falle spricht nichts gegen eine Nutzung der vorhandenen Daten.

1. 3. Das PVC Beschaffenheit, Farbe und Gewicht

Wenn wir heute eine Langspielplatte neuerer Produktion in die Hand nehmen, so bekommen wir in aller Regel eine tiefschwarz spiegelnde Platte zu sehen. Gefertigt aus einer sauberen hochwertigen Polyvinylchlorid Mischung, ohne grobkörnige Einschlüsse oder gar Materialermüdungen, die sich in stern¬förmigen Rissen über die Platte verteilt zeigen. Dem war allerdings nicht immer so. Da während der Zeit des II.Weltkrieges das Grundmaterial für die Herstellung von Platten mit 78er Umdrehung kriegswichtig wurde, kam es zur Rationierung von Schellack. Man begann also zu experimentieren; der Schellackanteil wurde gesenkt, alle möglichen Beimischungen ausprobiert und auch meist wieder verworfen. So kam auch die entscheidende Entwicklung nicht von Seiten der Plattenbranche, sondern aus den Laboratorien der chemischen Industrie. Die natürlich ihrerseits versuchte, Wege zu finden, die aus der Schellackabhängigkeit herausführten. Das Ergebnis dieser For¬schung war ein synthetisches Plastikmaterial. Ohne diesen Grundstoff wäre die nun wieder einsetzende Entwicklung in Richtung 33er Langspielplatte mit Mikrorillen nicht denkbar gewesen. So titelte auch das Fachorgan „Down Beat“ in der Ausgabe vom 21.10.1953: „Wartime shellac shortage star¬ted hi fi ball rolling.“
Die Entwicklung für eine optimale PVC Mischung war Ende der vierziger Anfang der fünfziger Jahre noch nicht abgeschlossen. Viele Firmen schworen auf ihre hauseigenen Geheimmischungen, die ein mög¬lichst geringes Masserauschen garantieren sollten. Reines PVC war nach wie vor sehr teuer, und ein nicht geringer Teil der Herstellungskosten einer Platte entfielen auf diesen Grundstoff. Vor allem Billig Kaufhauslabel versuchten mit Ersatzstoffen zu strecken, um die Kosten zu senken. Aber auch bei Pressungen etablierter Firmen finden wir immer wieder mal Aus¬reißer mit erheblichem Grundrauschen, was auf die Verwendung minderwertiger Materialien zurückzuführen ist. Nicht selten haben wir zwei Platten des gleichen Titels und identischen Datierungswerten, die aber grundverschieden akustisch reagieren, also mit oder ohne Nebengeräusche spielen. Da wir davon ausgehen können, daß jeweils die gesamte Pressungs¬reihe den Beispielen entspricht, muß es sich also um unterschiedliche Pressungen handeln, die entweder nacheinander im selben oder zeitgleich in einem anderen Werk hergestellt wurden. Im ersten Falle hätten wir es also mit einer Zweit oder Nachpressung zu tun, im zweiten natürlich mit einem Original. Böse Zungen behaupten immer wieder mal, daß diese Platten aus minderwertigem Vinyl, ausschließlich für den Export gefertigt worden wären. Für diese Vermutungen gibt es freilich keine Hinweise, geschweige denn Beweise. Denkbar wäre auch, daß mitten in einer Fertigungsreihe eine neue Charge PVC angebrochen werden mußte, die nicht dem Standard entsprach oder auch umgekehrt. Fest steht allerdings, daß diese Qualitätsschwankungen nur einige wenige Firmen betrafen. Im Jazzsektor vor allem Atlantic und Prestige, um nur zwei etwas bekanntere Namen zu nennen.
Anzumerken wäre in diesem Zusammenhang noch, daß eine schlechte Pressung nicht zwangs¬läufig etwas mit schlechtem Trägermaterial zu tun haben muß. Andererseits sind viele Pressungen, die an ein Lagerfeuer erinnern, nicht unbedingt miese Pressungen, oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Aber bleiben wir beim eigentlichen Thema.
Es ist durchaus so, daß man für einige Gesellschaften anhand der unter¬schiedlichen Vinylbeschaffenheit eine Datierung vornehmen kann. Klammert man einmal die oben angedachten Eventualitäten und Fakten etwas aus – aber auch die sind zeitlich (und räumlich) einzugrenzen , so haben wir durch die Möglichkeit der Materialprüfung einen weiteren wichtigen An¬haltspunkt zur Zeitbestimmung.
Allerdings und das muß immer wieder mal gesagt werden sind Platten europäischen Ursprungs erfreulicherweise meist aus hervorragendem Vinyl gefertigt! Hervorzuheben sind englische und vor allem auch deutsche Pressungen, so daß es bei diesen schwerfällt, über die Jahre oder Jahrzehnte überhaupt irgendwelche Qualitätsunter¬schiede im Material auszumachen.

Bei amerikanischen Pressungen der fünfziger und auch teilweise der sechziger Jahre ist dies leider nicht so. Es ist hierbei zwischen op¬tischen und den oben schon angesprochenen akustischen Unterschieden zu trennen.
Gerade in der Frühzeit der Langspielplatte benutzte man sehr unterschiedliche PVC Mischungen, die sich schon durch Farbschattierungen unterscheiden lassen. Anthrazitfarbene oder fast graue Scheiben zeugen von mangelnder Rußbeimischung, stammen fast immer aus Billigproduktionen und spielen nicht rauschfrei. Aber auch Risse durch Materialermüdungen sind recht häufig bei diesen Ramschausgaben zu sehen. Ein vortreffliches Bei¬spiel bietet das Label Crown. Eine Billigmarke der Bihari Brüder Joe, Jules und Saul, die sich die Präsidentschaft ihrer Label jeweils teilten. Über die einzelnen Pressungsgenerationen verteilt, sind hier alle oben aufgeführten Mängelunterschiede exemplarisch vertreten, ja metastasieren sogar bei den weiteren Unternehmungen der Brüder. Wären auf diesem Etikett nicht einige Aufnahmen als Originale erschienen, man wäre fast versucht, alle erreichbaren Crown Exemplare zu entsorgen; allerdings nicht in die Wertstofftonne.
Eine Produktendkontrolle, wie beispielsweise in Europa, hat es in den Staaten wahrscheinlich nur bei den größeren Gesellschaften gegeben. Pressungen dieser Firmen sind in der Regel nach 1955 nicht mehr zu beanstanden, da sauberes Vinyl verarbeitet wurde und nicht, wie häufig noch in dieser Zeit, recyceltes oder gestrecktes Material. So findet man nicht selten auf sogenannten als audiophil bezeichneten Platten den viel¬sagenden Hinweis auf die Verwendung von „Virgin Vinyl“; eigentlich in den meisten europäischen Staaten und in Japan eine Selbstverständlichkeit, und so hat man den deutschsprachigen Kunden die ganze Sache als „Supervinyl“ (sic!) verkauft.

Für die allgemeine Materialprüfung ist ein sogenanntes Auflichtmikros¬kop mit etwa 30facher Vergrößerung und eigener Lichtquelle bestens ge¬eignet. Dieses Gerät, welches speziell für Oberflächenprüfungen kon¬struiert wurde, läßt sich ebenfalls wunderbar zur Vergrößerung der Daten, die in der Auslaufrille verewigt wurden, einsetzen. Auch zur Bestimmung der Papierqualität des Labels ist dieses Ding unverzichtbar. Das Mikroskop kann über jedes Optikerfachgeschäft bezogen werden (Kostenpunkt ca.DM 130, ).

Da im Regelfall dem PVC Granulat Rußpartikel beigemischt werden, um die Gleiteigenschaft zu verbessern, entsteht die Schwarzfärbung des Materials. Aber bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren wurden Versuche mit farbigem Schellack gestartet und einige Platten auf den Markt gebracht. Auch Bildplatten aus dieser Zeit sind ja allgemein bekannt. Wobei der Bild¬träger mit farblosem transparentem Material bepresst wurde.

Nun eignet sich Polyvinylchlorid weit besser für Farbbeimischungen, und die Idee wurde von vielen Firmen wieder aufgegriffen. Zu den bekanntesten Marken, die farbiges Vinyl für ihre Langspielplatten (10",12", 7" EP) einset¬zten, gehörten: Aladdin, Crown, Duke, G.N.P., Imperial, London, Pacific Jazz, Tampa, World Pacific, später noch The Old Masters usw.. Die Listung ließe sich mit leichter Hand noch um eine ganze Reihe Label erweitern.
Die Firma jedoch, die wohl die meisten farbigen Platten auf den Markt brachte, war ohne Frage Fantasy. Allein schon an den Beispielen Dave Brubeck und Cal Tjader, die beide einen großen Teil ihrer Einspielungen auf diesem Etikett herausbrachten, läßt sich die zeitliche Abfolge von Farbe und Material darstellen. Waren noch die Erstpressungen im 10"/25cm Format in rot, grün, blau und auch mehrfarbig erschienen, wurden alle späteren 12"/30cm Originale in meist rotem PVC gefertigt. Und zwar aus einem starren, nicht biegbaren Vinyl Granulat, vielfach mit Schattierungseffekten. Nach ca.1958 wurden viele dieser Titel nunmehr in schwarzem PVC nachgepresst. Zweitpressungen existieren ebenfalls in rotem Vinyl, allerdings erheblich dünner (leichter) und flexibler als die Originale.
Auch bei den anderen Firmen gehören die farbigen Exemplare meist zu den ersten Pressungsreihen. Jedoch gibt es auch genügend Beispiele für eine parallele Fertigung. Vor allem im R & B Bereich wurden viele Singles neben der üblichen Pressung auch in Farbe aufgelegt. Die Zahl der unabhängigen Firmen, die hierbei eine Rolle spielen, wird wohl weit über fünfzig liegen. Deshalb seien nur die wirklich bekanntesten ge¬nannt: Aladdin, Chance, Checker, Federal, Parrot, Prestige, Vee Jay, in Europa auch Storyville usw.. Da die Auflagen häufig limitiert waren, ver¬zeichnen diese Platten einen immensen Wertzuwachs, dessen Ende bislang noch nicht abzusehen ist.

Nicht selten wird das Gewicht einer Platte als Indiz für ihr Alter an¬geführt. Teilweise euphorische Äußerungen wie: „Die liegt noch in der Hand“ oder „Ein Brett, mindestens 200 Gramm“ sind wohl jedem Sammler geläufig. Fraglos richtig ist die Feststellung, daß Platten mit einem Gewicht von über 200 Gramm nach ca. 1964 nicht mehr auf den Markt kamen. Aber auch in den Jahren zuvor sind Pressungen dieser Gewichtsklasse nicht die Regel gewesen, um nicht sogar das Wort „Ausnahme“ zu bemühen. Also auch hierbei gibt es außer der banalen Feststellung, daß eine schwere Platte nicht aus den Siebzigern stammt, keine Faustregel, die zu einer Pauschalisie¬rung taugen würde. So liegen auch nur einige Nummern der in diesem Zusammen¬hang oft zitierten Firma Blue Note über der 200 Gramm-Marke. Exemplare von 220 Gramm Gewicht sind freilich nur bei der 1500er Serie mit „Lexington-¬Kennung“ zu finden. Titel mit knapp über 200 Gramm reißen auch schon an¬fangs der 4000er Reihe ab, um dann sukzessiv bis auf 150 Gramm abzusacken.

Da die Menge und somit auch das Gewicht des PVC Granulats, das pro Platten¬pressung verarbeitete wurde, schon seit den Dreißigern nicht mehr per Augen¬maß bemessen wurde und somit auch nicht mehr dem Zufall unterworfen war, können wir mit einiger Sicherheit davon ausgeben, daß zwei ansonsten ident¬isehe Titel mit unterschiedlicher Gewichtsklasse nicht aus einer gleichen Fertigungsreihe stammen. Es verbietet sich aber, von einem Vergleichsob¬jekt auf eine numerisch untergeordnete oder auch folgende Nummer der Serie zu schließen. Jedenfalls nicht in einer verallgemeinernden Absicht. Bei den großen marktbeherrschenden Gesellschaften mit eigenen Presswerken ist dies logischerweise eher der Fall als bei den kleinen Unabhängigen, die ihre Aufträge außerhalb des Hauses vergeben mußten und folglich auch mit ab und an wechselnden Betrieben zusammenarbeite-ten.

Einige Sammler weisen häufig auf die unterschiedliche Beschaffenheit des Plattenrandes bei einigen Pressungsserien hin. Da aber die verschie¬denen Formen wie eckig oder scharfkantig zulaufend fast immer gewichts¬abhängig sind, werden wir uns an das exaktere und sichere Verfahren der Gewichtsermittlung halten.

Anfang der siebziger Jahre, zu Zeiten der Oelkrisenhysterie, schrumpfte die zur Herstellung einer Platte verwendete Vinylmenge auf ein Mindest¬maß zusammen. Viele Werke stellten auf ein wirtschaftlicheres Spritzver¬fahren um und produzierten Platten, die man zum Teil schon als „Flexidiscs“ bezeichnen konnte. Der Endpunkt eines schleichenden Niedergangs war er¬reicht. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten verwellten und verbogenen Platten. War dieses Phänomen vorher fast unbekannt, kann man die Mitte der siebziger Jahre als „Pfannen Hochzeit“ bezeichnen. Entsprechend häufig waren die vom Handel retournierten Platten. Es zeigte sich deutlich, daß man den Kunden doch nicht alles andrehen konnte, was man so wollte. Die Oelkrisenausrede war auch bald nicht mehr zu gebrauchen. Folglich ist am Ende dieses Jahrzehntes eine erhebliche Verbesserung der Vinylqualität und menge zu verzeichnen.

Erstaunlicherweise sind die Auswirkungen der Oelkrise bei europäischen Produkten weit weniger gravierend als bei amerikanischen. Deutsche Firmen nutzten die Gunst der Stunde und versahen ihre Produkte mit einem Quali¬tätssiegel, welches auf die hervorragenden deutschen Spitzenpressungen hinweisen sollte.

Schon Anfang der 1980er war die Gewichtsdivergenz zwischen den verschie¬denen Fertigungsserien der einzelnen Firmen nur noch geringfügig, so daß die Unterschiede für ein Datierungsraster nicht mehr ausreichend erscheinen. Die Gewichtsnorm hatte sich bei etwa 130 Gramm eingependelt.

Der zweite Teil wird die >Informationen in der Auslaufrille< behandeln; einschließlich einer komprimierten Darstellung des Herstellungsprozesses einer Schallplatte. Des weiteren dann endlich das Primärmerkmal zur Datierung, das Schallplatten Label/Etikett.

Anmerkungen:

1) Schallarchive und Musikbibliotheken fordern mehr Informationen, in: Der Musikmarkt, Nr.13, 1981 S.8 (Dank an M.Frohne für die Unterlagen).
2) Bob Porter, Labelwatch, in: JazzTimes July/August 1994, S.25.
3) Vgl. hierzu: Teure Hüllen, in: Jazz Podium Nr. 10, 1956, S.12.
4) Sehr anschaulich schildert der Arhoolie Gründer Chris Strachwitz einen solchen Hergang aus den Jahre 1960: „Wayne Pope, his wife Alice, and I sat around his kitchen table gluing printed cover slicks onto the jackets. I had ordered 250 solid black jackets from an album company and from a printer I had ordered the cover slicks on gummed label paper and so with sponges and lots of elbow grease we finally got enough covers glued on, inserted the pressings and the booklet...“. 20 years of Arhoolie Records, in: Arhoolie Records Catalog 1980/81, S.58.
5) Eine genaue Einpassung wird in der Blue Note Bearbeitung erfolgen.
6) Beim Lesen so mancher CD Begleithefte fühlt man sich lebhaft in diese Zeit zurückversetzt.
7) Wer sich für die teuersten 1000 (US) Platten interessiert, besorge sich: Jerry Osborne, The money records; New York 1998.
8) Nun werden wir in den letzten Jahren nahezu in einer Flut von Cover¬-Bilderbüchern erstickt. Nur außer schönen Bildchen geben die meisten wenig her! Eine der wenigen Ausnahmen: Manek Daver, Jazz album covers, the rare and the beautiful; Tokyo 1994.
Der einzige halbwegs wissenschaftlich Beitrag zur Geschichte der Platten¬hüllen ist: Martina Schmitz, Album Cover, Geschichte und Asthetik einer Schallplattenverpackung in den USA nach 1940, Designer Stile Inhalte; München 1987. Obwohl sich die Autorin „nur mit den 78er Alben (Boxen) befasst (der LP Bereich bleibt weitestgehends ausgeklammert), ist dieses Buch vorbehaltlos zu empfehlen, da ausgesprochen materialreich. Allein die Interviews mit vielen Brancheninsidern und Designern entschädigen für manche Schwächen im Hauptteil.
9) Sinnigerweise war das auch das letzte Jahr in Eigenregie. Im Juni 1966 kaufte Liberty den Laden, und aus war es mit der Unabhängigkeit.

Original oder Fälschung von Udo Neubauer

Teil 2

Einige Vorbemerkungen

Die fast ausschließlich positive Resonanz auf den ersten Teil dieser Arbeit ist äußerst erfreulich, verdeutlicht aber gleichzeitig die immensen Forschungslücken auf unserem Sachgebiet. Auf einige Fragen und Anregungen möchte ich, um die sachlich-thematische Gliederung nicht zu verlassen, an dieser Stelle eingehen.
Sicherlich finden eine Reihe Fachbegriffe Verwendung, die einer klaren Definition bedürfen. Sollte ein Glossar gewünscht werden, so wird er am Ende der Gesamtabhandlung stehen, um die relevanten Begriffe und Termini zu (er-) klären. Eine weitere Definition der Begriffswerkzeuge im Text der jeweiligen Abschnitte erschien mir nicht angebracht, da durch diese „Aufblähung“ die Lesbarkeit in erheblichem Maße beeinträchtigt würde. Auch ist diese Arbeit überwiegend für ein Fachpublikum bestimmt, welches die Terminologie über weite Strecken sicher beherrschen wird. Ferner ist die Darstellung überwiegend deskriptiv-paradigmatisch strukturiert, so dass die Begriffe auch aus dem Textzusammenhang heraus verstanden werden können. Die „ambivalente“ Bedeutung der Worte „Label/Etikett“, die jeweils synonym für das Schallplatten- „Innenlabel“ (ich weiß, ein „Außenlabel“ gibt es nicht) und für die Plattenfirma Verwendung finden, sind ebenfalls fast immer aus dem Kontext zu ersehen. Kurzum, die determinative Funktion aller anderen (ordnenden) Begriffe ist unverzichtbar. In diesem Zusammenhang muss ich auch einer Berichtigung Raum zugestehen, da sich ein Fehler durch die Korrektur gemogelt hat. „Niemand ist perfekt“, wie das Sprichwort schon behauptet: Auf der Seite 23 des ersten Teiles, zweite Spalte, letzte Zeile und auf der Seite 24, erste Spalte, dritte Zeile der deutschen Fassung, muss es jeweils statt „Logo“, „Label“ heißen! Bitte um Korrektur.
Zu den Staaten-Kürzeln: Hierüber hat es schon in den sechziger Jahren in einigen Sammlerpublikationen (Matrix etc.) einen zum Teil geradezu als grotesk anmutenden „Diskurs“ gegeben. Um diesem Thema nicht über die Maßen Gewicht beizumessen, möchte ich hierzu abschließend nur noch folgendes beitragen: Ab und an setzt sich ja nun doch das Gute und Bessere durch, in diesem Falle die Verwendung der Kraftfahrzeug-Nationalitätskennzeichen; diese sind international und im Notfall auch in jedem anständigen Autoatlas etc. nachzuschlagen.
Der © (Copyright-)Vermerk, der auf fast allen Plattenhüllen und CD-Beiheften zu finden ist, bezieht sich ausschließlich auf das Urheberrecht an der Covergestaltung (Artwork) und ist so als Datierungshilfe nicht zu gebrauchen, da alle weiteren Veröffentlichungen mit gleichem Design die selbe Jahreszahl tragen (vgl. hierzu die diversen RCA-Produktionen).
Zu guter Letzt eine wichtige Ergänzung, die mir zwar schon vor Drucklegung des ersten Teiles dieser Arbeit bekannt wurde, aber aus rein technischen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Sie betrifft ausschließlich US-amerikanische Pressungen und ist im Stellenwert dem (deutschen) Label-Code gleichzusetzen, da auch hier eine relativ klare zeitliche Trennung ermöglicht wird (vgl. den entsprechenden Abschnitt im ersten Teil, mit allen Einschränkungen). Es handelt sich hierbei um den amerikanischen Zip-Code, vergleichbar unserer Postleitzahl. Dieser Code wurde am 1.1.1964 von einer vierstelligen auf eine fünfstellige Ziffernreihe erweitert. Da die Zahl bei fast allen Anschriftenvermerken auf dem Cover, der Innenhülle und teilweise auf dem Etikett vermerkt ist, ist sie jedenfalls für den in Frage kommenden Zeitraum ein wichtiger Hinweis!
Mein Dank für diese Information geht an Klaus Kilian, der auch für die (hervorragende) Übertragung dieser Arbeit ins Englische verantwortlich zeichnet; auch dies sei nochmals erwähnt. Das genaue Datum der Zip-Code-Umstellung eruierte der Kollege Hans-Peter Lastovka; ihm sei hiermit ebenfalls gedankt.

Für weitere Anregungen, Verbesserungsvorschläge, Ergänzungen und Informationen bin ich dankbar.
1.4. Die Informationen in der Auslaufrille 10

Die Angaben, die wir in der Auslaufrille, also in dem Bereich zwischen dem letzten Musiktitel und dem Etikett vorfinden, sind von Firma zu Firma sehr unterschiedlich, in punkto Informationsgehalt ebenso wie in der Quantität der verwertbaren Informationen. Kleinere, meist unabhängige Label beschränkten sich recht häufig auf die Angabe der Matrizennummer, die wiederum überwiegend mit der Bestell- bzw. Katalognummer, einschließlich der Prefix-Kennung, identisch war. Ob derart dürftige Hinweise Rückschlüsse auf die Qualität einer Pressung geben, wie ab und an zu hören ist, wage ich stark zu bezweifeln. Richtig ist hingegen, dass das bloße Vorfinden einer Matrix/Bestell-Nummer in der Auslaufrille für die Datierungszielsetzung nicht sehr viele brauchbare Ansätze bietet. Unterschiede sind allein in der Form der übermittelten Daten auszumachen und zu verwerten. Die meisten Angaben bei den Produkten der kleineren Label wurden vielfach manuell, also sozusagen „handschriftlich“, hinterlassen. Ist die Katalog-Nummer der einzige Hinweis in diesem Bereich, so lässt sich allenfalls durch einen „graphologischen“ Vergleich mit einem anderen Exemplar dieser Platte herausfinden, ob die Pressmatrize von der gleichen Folie bzw. „Mutter“ gefertigt wurde. Sind außer der Matrizennummer noch weitere Angaben vorzufinden, so ist auch hier durch ein Abgleichen, beispielsweise des räumlichen Abstandes der Angaben untereinander, die gleiche Information zu erhalten.11
Viele Platten meist größerer Gesellschaften hatten maschinell eingedruckte Daten. Das ist insofern von Wichtigkeit, da dies vor allem im Single-Bereich bei späteren Nachpressungen und/oder Fälschungen nicht mehr der Fall war. Man hüte sich allerdings hierbei vor Pauschalisierungen. Wie ja schon mehrfach ausgeführt, ist immer die firmen- und presswerkspezifische Gepflogenheit zu ermitteln.
Zum weiteren (schlüssigen) Verständnis der noch folgenden Darlegungen ist es zwingend notwendig, den Herstellungsprozess einer Vinylschallplatte in seinen Grundzügen zu erläutern. Um nicht die Sicht auf die für unsere Fragestellung relevanten Abläufe zu verstellen, werden nur die signifikanten Schritte und Vorgänge hervorgehoben werden. D.h. auch technisch-physikalische Vorgänge, welche die spätere Klangqualität betreffen, werden außer Acht gelassen. Wer sich hier für Teilaspekte oder Detailfragen interessiert, sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen.12

1.4.1. Exkurs: Verfahrensabläufe bei der Herstellung einer Vinylschallplatte

Um nicht bei Adam und Eva anzufangen, lassen wir die „historische“ Schellackzeit außen vor; zumal sich die prinzipiellen Vorgänge fast nicht geändert haben und nur durch die laufenden technischen Fortschritte im Detail verbessert wurden. Da die Weiterentwicklung der magnetischen Tonaufzeichnung ein entscheidender Schritt in Richtung Langspielplatte war, möchte ich beim Tonband ansetzen.13 Dieses hatte nach dem zweiten Weltkrieg erhebliche Verbesserungen erfahren und wurde ab etwa Anfang der fünfziger Jahre fast überall in den Tonstudios zum Einsatz gebracht. Sind die vorgesehenen Aufnahmen auf Band mitgeschnitten und frei gegeben, beginnt der nächste Schritt: Die magnetisch aufgenommenen Schwingungsimpulse werden nun in mechanische umgewandelt und mit Hilfe eines Schneidkopfes, an dem sich ein Stichel befindet, in eine Lackfolie geschnitten. Diese Arbeit wird von einem Schneidingenieur ausgeführt und kann beliebig oft wiederholt werden, sei es, dass der Vorgang nicht das gewünschte Ergebnis erbrachte oder die nun folgende „Ahnenreihe“ erneut ausgeführt werden soll. Das Aussehen der Lackfolie entspricht in etwa dem der endgültigen Platte, und sie könnte theoretisch bereits mit einem Plattenspieler abgehört werden, was aber die Zerstörung der Rilleninformationen zur Folge haben würde. Im weiteren Fertigungsablauf wird nun die Rohfolie mit einer feinen Silberschicht überzogen und nachfolgend durch einen Galvanisierungsvorgang mit einer Nickel- oder Kupferschicht versehen. Die so entstandene Metallplatte wird von der Urfolie abgetrennt, und man hat den so genannten „Vater“ (auch als das „Original“ bezeichnet). Die Folie ist nach diesem Vorgang nicht mehr zu gebrauchen. Der abgenommene „Vater“ zeigt nun anstatt der Rillen erhabene Stege. In einem erneuten galvanischen Vorgang wird jetzt auf ähnliche Weise die „Mutter“ gewonnen, die logischerweise wieder mit einer Rille versehen ist. Von der „Mutter“ wird in einem letzten Schritt, wie könnte es auch anders sein, der „Sohn“ erstellt, der nun die eigentliche Pressmatrize darstellt. Von „Mutter“ und „Sohn“ können jeweils mehrere Kopien hergestellt werden. Was bei der nun folgenden Entschlüsselung der Daten in der Auslaufrille noch von Belang sein wird.

1.4.2. Die Informationen – ihre Dechiffrierung und Bewertung

Wie schon gesagt, die Angaben, die wir in diesem Bereich im Vinyl vorfinden, sind in Quantität und Qualität bezüglich ihres Informationsgehaltes sehr unterschiedlich. Eine bloße Matrix-Nummer kann uns, außer den erwähnten Unterscheidungsmerkmalen, wenig mitteilen. Eine ganze Reihe von Plattengesellschaften, und hier sind vor allem die größeren zu nennen, wie beispielsweise RCA, Columbia, Fontana, Philips, Mercury, Decca, H.M.V. usw., überließen uns aber eine Fülle an Kryptographien, die im weiteren Verlauf der Darstellung als Matrix-Code bezeichnet werden. Die in diesen Fällen fast ausschließlich als „Maschinen-Matrix“ (also nicht manuell) eingeprägten Daten sind zwar in vielen Fällen, was die Anzahl und den Umfang des Inhaltes betrifft, identisch, aber bis auf einzelne Punkte labelspezifisch codiert. Nun sind lange nicht alle diese Angaben im Hinblick auf eine Datierung auswertbar; da aber ein herausbrechen einzelner Aspekte aus dem Zusammenhang der Matrix-Codierung didaktisch gesehen Unsinn wäre, werden wir diesen Komplex detailliert behandeln.

Zum klaren Verständnis ist auch hier die Darlegung an Hand von Exemplifikationen unerlässlich. Es ist sicher einleuchtend, dass bei einer Allgemeindarstellung kein komplexer Abriss über eine Vielzahl von Firmen erfolgen kann, sondern nur exemplarisch vorgegangen werden kann, um den Stellenwert der signifikanten Merkmale eingehend auszuleuchten. Alles andere bleibt einer labelspezifischen Bearbeitung vorbehalten.
Ein Etikett mit einem umfangreichen Matrix-Code ist (unter anderen) die RCA; sie habe ich auch deshalb ausgewählt, weil wohl jeder Sammler einige Plattenkopien dieser Firma sein Eigen nennt und so in natura die weiteren Ausführungen abgleichen kann. 14 Nehmen wir als konkretes Beispiel die LSP 2568 (Della Reese; Della On Stage) und betrachten uns den Bereich der Auslaufrille, so finden wir zuerst eine längere Zahlen- und Buchstabenkombination , in diesem Falle auf Seite 1: N5P Y 3082 – 1S, deren Bedeutung wie folgt zu entschlüsseln ist: RCA verklausulierte das Jahr der Einspielung durch Buchstaben, hier also ein „N“, welches auf das Jahr 1962 angewandt wurde. Leider wurde bei der Chiffrierungsmethode das Alphabet nicht durchgängig chronologisch benutzt, so dass eine schnelle Einspielungsdatierung nur durch Hilfsmittel zu erreichen ist. So stand „E“ für 1954 und „X“ wurde für das Jahr 1969 herangezogen. Welche Aussagekraft die folgende Zahl „5“ besitzt, ist mir nicht ganz klar. Häufig wird darauf hingewiesen, dass hier in der Regel die Zahlen „1“ und „2“ stehen, und diese als jeweilige Seitenzahlen zu verstehen sind. Das ist zwar schön einfach und erscheint auch einleuchtend, zumal der erste Teil des Codes auch auf dem Label zu finden ist, also mit der Pressungsabfolge nichts zu tun haben kann. Es ist aber eben nicht immer alles so, wie es erscheint. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass es sich hierbei um einen internen Lizenzcode oder um eine untergeordnete Serienkennung handelt. Welche mit Sicherheit aber nicht als datierungsrelevant anzusehen sind. Der nun folgende Buchstabe bezeichnet den jeweiligen Musikbereich, so steht „R“ für Klassik, „T“ und „P“ für Pop- bzw. „J“ für Jazz-Einspielungen. Das hierauf folgende „Y“ besagt, dass es sich um eine Stereo-Aufnahme handelt. RCA Mono-Platten haben ein „P“ an dieser Stelle. Danach kommt die eigentliche Matrizen-Nummer, 15 die für jede Plattenseite natürlich unterschiedlich ist. Am Schluss der Codierung steht die laufende Nummer der Lackfolie, die, wie wir ja jetzt wissen, als Ausgangspunkt der jeweiligen „Ahnenreihe“ anzusehen ist. An einer anderen Stelle der Auslaufrille befindet sich ein Buchstabe mit einer Zahl, etwa wie im Beispielsfalle „A1“. Der Buchstabe bezeichnet die chronologische Abfolge der vom „Vater“ abgeformten „Mutter“; die Zahl benennt die Rangfolge des hieraus resultierenden „Sohnes“ (Pressmatrize). Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies, dass zur Herstellung der Platte der erste „Sohn“ der ersten „Mutter“ benutzt wurde. Aus audiophiler Perspektive gesehen ist das natürlich die optimale Konstellation, denn jede weitere Generation bedeutet zwangsläufig Qualitätsverlust; gibt es doch auch „D4“ usw. Diese „Mutter-Sohn-Beziehung“ wurde auch von anderen Firmen in gleicher oder ähnlicher Weise im Auslaufrillenbereich vermerkt, ist also durchaus übertragbar. Der letzte RCA-Hinweis bezieht sich auf den Ort des Presswerkes, an dem die Schallplatte gefertigt wurde: „H“ steht für Hollywood, „I“ für Indianapolis und schlussendlich „R“ für Rockaway.16 Wem das alles etwas zu kompliziert erscheint, der befasse sich erst mal mit der Bedienungsanleitung seines Videorecorders.
Wie bereits angesprochen, kann das Beispiel RCA, was den Inhalt der angegebenen Informationen betrifft, durchaus als Äquivalent für weitere Label mit Maschinen-Matrix gelten. Allerdings finden wir hier, so wie bei Firmen mit manuellem Code, noch eine ganze Reihe weiterer Hinweise, die nun behandelt werden sollen. Was gibt es also sonst noch?
Bei manchen Kennzeichen liegt die Vermutung nahe, dass es sich nur um das Kryptonym eines im Produktionsprozess eingebundenen Mitarbeiters handeln kann; meistens ist so der Schneidingenieur verewigt. Dies kann in Form eines monogrammartigen Namenszeichens geschehen sein (bei Mercury wird sogar noch mit einer dem Namenskürzel hinzugefügten Zahl die Nummer des Schneidkopfes genannt) oder durch ein prägnantes Signet, wie etwa das berühmte „Ear-Mark“ bei Folkways, United Artists und Blue Note etc.17 Weiterhin ist nicht gerade selten das Herstellungsdatum der oben angeführten Presswerkzeuge durch manuelle „Inschrift“ erwähnt. Atlantic wiederum vermerkte ab ca. Anfang der 60er das Aufnahmejahr zweistellig am Anfang der Matrizennummer. Auch bei Neuauflagen von bereits erschienen Platten, beispielsweise in einer neuen Serie, kann man leicht erkennen, ob die alten Pressmatrizen zur Herstellung herangezogen wurden, denn hier wurde meist die vorhandene Prefix-Kennung inklusive Katalog-Nummer weggekratzt und durch die aktuelle ersetzt. Diese Vorgehensweise findet sich unter anderem häufig bei der Firma Prestige und deren diversen Unter-Etiketten. Der Aufnahmeleiter und Toningenieur, der über weite Strecken für Prestige, Savoy und Blue Note arbeitete, war Rudy Van Gelder, auch er verewigte seine „Hausmarke“, das allseits bekannte „RVG“-Signet, in der Auslaufrille; bis ca. 1958 in manueller Form, danach maschinell, später als „Van Gelder“-Prägung.
Kommen wir zur so genannten Delta-Nummer, die nichts mit sexuellen Praktiken aus dem Kamasutra zu tun hat. Delta ist der vierte Buchstabe des griechischen Alphabets und wird als Dreieck dargestellt. Dieses Dreieck mit angefügter Zahlenkombination ziert viele Plattenauslaufrillen bei Produktionen einer ganzen Reihe US-amerikanischer Gesellschaften, die vornehmlich an der Westküste beheimatet sind/waren. Methode und System bei der Vergabe von Delta-Nummern sind noch nicht ganz geklärt.18 Fest steht jedenfalls, dass diese fortlaufende Nummern-Systematik ausschließlich bei der Plattenfertigung kalifornischer Presswerke angewandt wurde; und zwar labelübergreifend und in chronologischer Folge! Die Nummerierung erfolgte etwa ab 1954 bis zum Ende der siebziger Jahre und erfasste alle Tonträgerformate dieser Zeitspanne. Da üblicherweise bei der Herstellung einer Wiederveröffentlichung mit neuen Presswerkzeugen eine andere (der Zeit entsprechende) Nummer vergeben wurde, wird sehr schnell klar, welche Bedeutung diese Angaben in Bezug auf eine exakte Datierung haben könnten. Hätte man hier eine Zeittafel mit festen Eckwerten zur Verfügung, wäre ein großer Schritt in Richtung Originalbestimmung getan; jedenfalls für Pressungen, die aus diesem geographisch eng begrenzten Raum stammen. Aber wie bereits angeklungen, der ungeklärten Fragen sind noch viele, so existieren beispielsweise Platten mit verschiedenen Delta-Nummern auf jeder Seite oder auch Exemplare, bei denen nur auf einer Seite eine Nummer vermerkt ist usw.. Hinzu kommt noch, dass natürlich auch hierbei alle nur denkbaren Eventualitäten, wie etwa die Wiederverwendung bereits vorhandener Pressmatrizen, in Betracht gezogen werden müssen. Der noch etwas verworrene Sachverhalt wird sich auch in diesem speziellen Falle nicht durch monokausale Erklärungsmuster entwirren lassen, zumal auch noch der Sinn des Prinzips im Dunkeln liegt.
Da wir uns ja nicht mit dem „78er-Code“ befassen, der natürlich neben der discographisch bedeutsamen Takeabfolge ebenfalls Hinweise auf Format, Aufnahmeort und -ingenieur etc. enthalten kann19, könnten wir diesen Abschnitt eigentlich abschließen, wenn da nicht noch die Prefix-Kennung mit Bestell-Nummer wäre, die selbstverständlich auch auf Label und Hülle zu finden sind. Als Prefix bezeichnet man eine Buchstabenkombination, die – das Wort sagt es schon – vor der Katalognummer steht. Wie wir ja jetzt wissen, hatten eine ganze Reihe von kleineren unabhängigen Firmen statt einer umfangreichen Maschinen-Matrix nur die Prefix-Bestell-Nummer in der Auslaufrille manuell vermerkt. Die Prefix-Abfolge besteht normalerweise aus zwei bis drei Buchstaben ist meist einer bestimmten Serie zugeordnet und/oder dient zur Unterscheidung der Aufnahmeverfahren (Mono, Stereo etc.), der Formatangabe oder sogar des Vertriebsweges. So hatte beispielsweise die Savoy zeitweise die gleichen MG-Prefixes wie ihr Vertrieb, die Mercury/EmArcy-Gesellschaft.
Die Bestell- oder Katalognummer wurde meist bei Nachpressungen, soweit sie in der gleichen Serie vorgenommen wurden, nicht verändert. Erst bei einer Wiederveröffentlichung wurden Prefix und Nummer – Ausnahmen gibt es freilich auch hier – aktuell angepasst. Es ist sicherlich richtig, dass man an Hand von Bestell-Nummern das Ausgabedatum einer Schallplatte in etwa eingrenzen kann20 , jedenfalls wenn die numerische Abfolge eingehalten wurde; dass dies nicht immer der Fall war, ist ja hinlänglich bekannt. Wie aber das entsprechende Original auszusehen hat, darüber sagt das Erscheinungsdatum allein selbstverständlich rein gar nichts aus. Wir können hieraus nur folgern wie es aussehen müsste.

Wer sich jetzt etwas näher mit der Matrix-Codierung beschäftigt, wird noch einige Hinweise entdecken können, die da der Deutung harren. Es gibt also eine Menge Ansätze für die methodologisch immanenten Rasterpunkte, die hier in Ziel und Richtung der Datierung greifen können. Ausschlaggebend hierfür ist freilich die Fixierung der jeweiligen Merkmale in den zeitlichen Ablauf, d.h.: Was wurde wann und wo in welcher Art und Weise angegeben, und was bedeutet es eigentlich? Man sieht, es gibt noch sehr viel zu tun!

1.5. Das Label

Das unbestritten wichtigste Kennzeichen zur Originalbestimmung einer Schallplatte ist das Papieretikett auf der Platte selbst – also das Label. Es mag nun manchem Leser als unorthodoxes Vorgehen erscheinen, wenn dieser Bereich erst am Schluss der Primärkennzeichen seine eingehende Würdigung findet. Hierfür gibt es zwei Gründe, zum einen haben wir die Bestandteile des Tonträgers Schallplatte von außen nach innen einer Spurensuche unterzogen, und hier steht nun mal das Etikett an letzter Stelle, zum anderen sollte der im Bewusstsein jedes Sammlers verankerte Stellenwert des Primärkennzeichens Label auf seinen nur in einer Indizienkette wirklich aussagekräftigen Part reduziert werden. Es sollte also alles stimmig sein, bevor wir uns ein Urteil erlauben, oder auf gut deutsch: es muss passen, wackeln und Luft haben. Gehen wir nun aber in wahrsten Sinne des Wortes in medias res und (selbstverständlich) von außen nach innen.

1.5.1. Die Labelgröße

Oft unbeachtet spielt der Durchmesser des Labels bei Produktionen aus den fünfziger- und sechziger Jahren eine nicht unwesentliche Rolle in bezug auf eine Originalbestimmung. So verwendeten einige Firmen kleinere Etiketten jeweils für eine Reihe Erstauflagen; zum Beispiel Riverside, Crown mit seinen Sub-Labeln Kent und United, Chess usw. sowie auch einige europäische Firmen wie Bellaphon, Deram etc.. Der Größenunterschied ist für jeden sofort ersichtlich, denn um das zentrierte Etikett herum ist noch jeweils ein ca. 5mm freier und etwas erhabener Bereich, der für die Normallabelgröße vorgesehen war, zu erkennen. Man muss also nicht mit dem Zentimetermaß zu Werke gehen. Der Grund für diese Verfahrensweise ist wiederum nur aus der ökonomischen Sicht verständlich oder zu erklären: Es konnten von einem Papierbogen schlicht und einfach mehr Etiketten gedruckt werden und/oder der Verschnitt wurde reduziert. Minimierung der Kosten ist gleich Maximierung des Gewinns. Wobei wir schon beim Papier und seinen Qualitätsunterschieden angelangt wären.

1.5.2. Das Papier

Ein schwieriges Kapitel. Genau genommen, ein weißer Fleck im Spektrum der Datierungsmerkmale. Fest steht jedenfalls, dass die Papierqualität des Labels bei einer nicht geringen Anzahl von Plattengesellschaften, und hier sind wiederum nicht zuletzt die unabhängigen zu nennen, im zeitlichen Ablauf der Jahre zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen, die natürlich für unsere Zwecke genutzt werden können. Halten wir vorerst einmal fest, was mit dem bloßen Auge oder natürlich noch viel besser mit dem bereits erwähnten Auflichtmikroskop zu erkennen und zu unterscheiden ist: Die Skala reicht von mattem Papier mit verhältnismäßig rauer Oberflächenstruktur bis hin zu fast glänzendem Material. Wobei aber das oberflächliche Erscheinungsbild entscheidend von der Drucktechnik beeinflusst wird. So hatten beispielsweise viele Schellack-Etiketten ein durchaus modernes und sattes Glanz-Druckbild. Trotz allem lässt sich mit Hilfsmitteln immerhin noch feststellen, ob etwa raues und somit holzhaltiges oder Papier feinerer Qualität benutzt wurde. Hieraus resultieren auch Unterschiede im Helligkeitsgrad von weißen, also nicht bedruckten Flächen. Man möge aber in Rechnung stellen, dass nicht zuletzt auch Alterungsprozesse durch Umwelteinflüsse eine nicht unerhebliche Rolle spielen, die aber als solche oft durch Unregelmäßigkeiten im „Vergilbungsvorgang“ leicht zu erkennen sind. Es sei aber an dieser Stelle auch noch angemerkt, dass der helle Teil bei den Blue Note-Etiketten, wie auch bei vielen anderen, durch Druckfarbe erstellt wurde. Scheinbare Unebenheiten im Papier, wie sie nicht selten bei älteren Pressungen zu beobachten sind, resultieren meist durch den manchmal etwas fehlerhaften PVC-Untergrund, mit dem das Label nun mal durch den Pressvorgang eng verbunden ist, haben also nichts mit dem Papier zu tun. Alles in allem müssen wir dem „Papieraspekt“ eine eher untergeordnete Rolle zuteilen, zumal Problemfälle bei der Pressungsdatierung im Regelfall oft zeitlich eng beieinander liegen und somit fast ausnahmslos Etiketten aus dem gleichen Papier aufweisen, häufig sogar aus derselben Produktion. Etwas anders sieht die Sachlage bei 45ern aus, da Singles im Vergleich zu Langspielplatten weit weniger Ansatzpunkte und Hinweise vorzuweisen haben. Aber auch bei diesem Format ist das Kriterium der Papierqualität fast nur im Zusammenhang von Fälschungsidentifizierungen zu sehen, wenn also bereits eine geraume Zeit zwischen den Pressungen liegt und das ursprüngliche Papier, welches zur Labelherstellung benutzt wurde, überhaupt nicht mehr zur Verfügung stand.
Ich möchte nicht bestreiten, dass aus diesem Thema mit chemisch-analytischen Untersuchungen nicht noch einiges herauszuholen wäre21, aber was würde das letztendlich beweisen, wenn man auch noch die schon eingangs erwähnten Einschränkungen und Eventualitäten mit berücksichtigt; zumal auch noch eine Probe genommen werden müsste, die natürlich den materiellen Wert einer Platte nicht unerheblich beeinflussen würde. Im übrigen wollen wir es auch nicht übertreiben. Festzuhalten bleibt trotz allem: Sind gravierende Unterschiede in der Papierqualität der Etiketten bei ansonsten identischen Objekten auszumachen, und sind weiterhin bei dieser Firma alternative Herstellungsstätten auszuschließen, stammen die Platten mit einiger Sicherheit nicht aus der gleichen Fertigungsreihe! In der Regel ist es aber vielmehr so, dass das Vorfinden von markanten unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen in diesem Punkt eher auf eine größere zeitlich divergente Spanne hinweist, so dass fast immer übergeordnete Ausschließungskriterien greifen können. Ein positiv-konstruktiver Ansatz zur Auswertung und somit zur zeitlichen Einordnung ins chronologische Rasterspektrum wird erst dann möglich sein, wenn die signifikanten und somit leicht erkennbaren Merkmale der Papierqualität einer bestimmten Zeitspanne exakt herausgearbeitet wurden. Wie bereits gesagt: Samt und sonders ein schwieriges Kapitel!

1.5.3. Die Farbe – Beschaffenheit und Tönung

Um ein vielfaches bedeutsamer als die Papierqualität ist zweifelsohne die Labelfarbe. Sie stellt neben dem Design und den verzeichneten Informationen sowie deren räumlicher Position innerhalb des Labels eine der wichtigsten Unterscheidungsfaktoren dar. Mit ihr sind bei vielen Firmen Herstellungszeiträume und Aufnahmeverfahren (MO, ST) zu erkennen, mit den Tönungsvarianten bekommt man sogar weit engere zeitliche und geographische Daten der Fertigung übermittelt. Firmen, bei denen die Labelfarbe relativ häufig wechselte, haben natürlich ein entsprechend höheres Auswertungspotential als Firmen, die lange eine Farbe bzw. Farbkombination beibehielten. Weltmeister hierbei ist ohne Frage das Etikett Blue Note, welches über 30 Jahre hinweg die Labelgrundfarben (und das Design) nicht veränderte. Das allseits bekannte Blau-Weiß dieser Firma mit dem zeitlos modernen (Bauhaus-) Labeldesign birgt rein oberflächlich betrachtet wenig Anhaltspunkte zur Beurteilung nach Farbkriterien. Wer aber direkte Vergleiche mit Etiketten gerade der früheren Produktionsphasen unternimmt, wird eine ganze Menge von Tönungsvarianten ausmachen können, die jedoch meist nur einen bestimmten Titel betreffen, hierbei aber zeitlich divergierende Fertigungsreihen markieren, die innerhalb einer Pressungsgeneration anzusiedeln sind. Dieses Beispiel verdeutlicht exemplarisch die ungeheuere Vielfalt noch nicht eindeutig zu bewertender Farbunterschiede. Auch bei der Firma Savoy zeigen uns die verwendeten Rot-Töne – neben den Pressmerkmalen – den Weg zur Zeitbestimmung.
Dass nicht nur die verwendete Farbe, sondern auch die jeweilig angewandte Drucktechnik in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, leuchtet sicher ein. Viele Sammler, die schon mal eine Blue Note-Scheibe bis einschließlich der „47/63er“-Kennung mit einer Plattenwaschmaschine gereinigt haben, werden mit Erstaunen festgestellt haben, dass sich die Labelfarbe bei unsachgemäßem Vorgehen äußerst leicht auswaschen lässt und – dass dies bei den darauf folgenden Etiketten nicht mehr der Fall ist. Ebenso erscheinen viel CBS-Label aus der deutschen Produktion wie Steindrucke (Lithographien), also mit porenähnlicher Oberflächenansicht. Das alles sind natürlich Hinweise auf verschiedene Drucktechniken, die an diesem Ort nicht weiter vertieft werden sollen. Das möge einem Fachmann auf diesem Gebiet überlassen bleiben. Entscheidend ist vielmehr das Erkennen dieser unterschiedlichen Methoden im Ergebnis, sprich: dem gedruckten Plattenetikett. Ohne das schon mehrfach erwähnte Auflichtmikroskop freilich ein nicht leicht zu bewältigendes Unterfangen
Bei weitem einfacher zur beurteilen sind hingegen Etiketten mit klaren Farbwechseln, die einer mehr oder weniger scharf umrissenen Periode beizuordnen sind. Jeder Sammler wird die bekannteren Plattenfirmen, bei denen die Labelfarbe eine entscheidende Rolle zur Originalbestimmung darstellt, aus dem Ärmel schütteln können. Deshalb seien an dieser Stelle nur die wichtigsten genannt: Argo, Blue Thumb, Capitol, Chess, Columbia, Crown, Decca, Fire, London usw. usf.. Vielfach wurden ebenfalls die Aufnahmeverfahren durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet, wie bei Atlantic, Contemporary, King, Riverside etc.; oder es wurden bestimmte Serien andersfarbig hervorgehoben, wie zum Beispiel bei Reprise.
Das Auswertungspotenzial der Quellengattung „Label“ steht oder fällt mittels (der Möglichkeit) seiner Beschreibung! Im weitaus verstärktem Maße trifft dies auf die Farbunterschiede zu. Sind fast alle anderen Hinweise verhältnismäßig einfach zu bezeichnen, ist das bei einer genauen Farbbeschreibung nicht so. Wir operieren hier zur Zeit meist noch mit den Grundfarben herum, die einer angestrebten präziseren Untersuchungsmethode Hohn sprechen. So mancher Plattenhändler wird mir entgegenhalten, dass genauere Labelbeschreibungen und somit auch Farbbenennungen den Kunden nur verunsichern würden. Ich sehe das im Moment noch ähnlich, ich gebe es zu. Die seit Jahr und Tag eingefahrenen Beschreibungsmuster werden also ständig im Sinne einer exakten Datierung erweitert und präzisiert werden müssen. Das dies nicht von heute auf morgen, sondern kontinuierlich dem (allgemeinen) Wissensstand entsprechend zu geschehen hat, wird man zähneknirschend einräumen müssen. Hier ist vor allem auch der Sammler und Kunde aufgefordert, sich noch eingehender mit der Materie zu beschäftigen und seinen Händler mit Fragen zu löchern. Dieser wird sich darauf einstellen und in Zukunft seine Angabenpalette den Fragen entsprechend erweitern.
Nun sind wir allerdings der Problemlösung hinsichtlich einer genaueren Farbbeschreibung noch keinen Schritt näher gekommen. Da sich wahrscheinlich nur wenige den Unterschied zwischen violettpurpur und purpurviolett farblich vorstellen können, müsste dem Sammler und dem Händler eine identische Farbtonskala zur Verfügung stehen. Es bedarf keiner allzu großen Fantasie um den nächsten Satz im voraus zu erraten: Die gibt es mit unserem Anforderungsprofil – natürlich – (noch) nicht. Aber etwas ähnliches, nämlich den „Michel Farbenführer“ für Briefmarkensammler. Dieser Farbenführer enthält insgesamt 158 Farbplättchen mit kreisrunden Aussparungen, die auf die zu prüfende Fläche – in unserem Falle das Etikett – gelegt werden können, bis eine genaue Übereinstimmung erzielt ist. Das nach Prof. Oswald aufgebaute Ordnungs- und Farbnennungs-System enthält leider nicht alle in unserer Disziplin gebräuchlichen Farbtöne, obwohl sie errechnet werden können. Eine große Hilfe ist diese Skala allemal, zudem noch die Tönungsvarianten in Deutsch und Englisch bezeichnet werden und somit Kommunikationsmissverständnissen vorgebeugt werden kann. Man besorge sich also das Ding! Es ist im Briefmarkenhandel für ein paar Mark erhältlich.

1.5.4. Pressmerkmale (etc.) auf dem Label

Als Paradigma für das stetige Anwachsen des Wissensstandes zu unserer Thematik kann das sogenannte Pressmerkmal „Deep Groove“ angesehen werden. Dieser pressungstechnisch bedingte Hinweis war noch vor rund zehn Jahren in keiner Labelbeschreibung zu finden und ist heute als (wichtige) Information nicht mehr zu entbehren. Er verdeutlicht gleichzeitig vorbildlich die unangefochtene Rezeption der Aussage, in der Analyse wie im Verständnis seiner Bedeutung.
Die beim Herstellungsprozess entstandene kreisrunde Vertiefung im Label ist bei sehr vielen Platten aus den fünfziger- und sechziger Jahren zu finden. Sie ist das Resultat eines auf dem Presskopf bzw. Pressteller befindlichen erhabenen Stegs, der beim Fertigungsvorgang die Haftung des Etiketts auf der Platte optimieren sollte. Was ist nun aber so wichtig an dieser „Geschichte“? Auch hier beschreibt die Existenz eines Hinweises, im positiven wie im negativem Ergebnis, einen zeitlich begrenzten Bereich der Produktion, der wiederum je nach Plattengesellschaft (und Produktionsstätte) unterschiedliche Datierungswerte aufweisen kann. Obwohl ich in den Verdacht geraten könnte Platitüden zu verbreiten, sei dies nochmals pro forma erwähnt. Im großen und ganzen lässt sich sagen, dass schon die Platten zu Anfang der Oelkrise in den frühen Siebzigern dieses Attribut nicht mehr aufweisen. (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wie schon ausgeführt, waren die meisten (US-) Pressungen aus dieser Zeit schon viel zu dünn, um überhaupt DG-Charakteristika aufweisen zu können. Das Erscheinungsbild wäre auch dem einer Sollbruchstelle nicht unähnlich gewesen. Die Produkte der meisten Firmen hatten freilich schon in den auslaufenden sechziger Jahren keine „Deep Groove“ mehr! Die (pauschalisierte) Schlussfolgerung kann also lauten: (US-) Platten mit „Deep Groove“ stammen im Regelfall aus dem Herstellungszeitraum bis etwa 1970. Bei europäischen Pressungen reicht der Zeitrahmen des Vorkommens allerdings noch fast bis in die Mitte der Siebziger. Bereits vorher hatten viele Label statt der Rillen-Charakteristik eine flache und platte Eindruckstelle, deren Durchmesser dem Radius des ursprünglichen Pressmerkmals entsprach. Diese Erscheinungsform ist nicht mit dem Begriff „Deep Groove“ zu belegen!
Einiges Kopfzerbrechen bereitet vielen Sammlern das Vorhandensein des Kennzeichens auf dem Label nur einer Plattenseite. Die Frage nach dem Zustandekommen und der Bewertung wird immer wieder gestellt (Ja, wie kommt Kuhsch.... aufs Dach?). Die einzig plausible Erklärung besteht in der (spekulativen) Annahme eines nur einseitig ausgetauschten Presselements, dessen Gegenpart, aus welchen Gründen auch immer, erst zu einem späteren Zeitpunkt erneuert wurde. Vor allem bei Blue Note-Pressungen ist diese Abart recht häufig zu sehen, so dass viele Sammler der Meinung sind, es handle sich um eine singuläre Eigenheit dieser Firma. Dem ist nicht so, denn auch von Atlantic gibt es Platten dieser Machart, obwohl erheblich seltener. Dabei handelt es sich immer um Exemplare, die in die Endphase der (normalen doppelseitigen) Verwendung zu datieren sind, zum Teil gehen sie auch weit darüber hinaus.
Zu vielen Missverständnissen hat ein bekannter Preisführer für Jazzschallplatten – über den noch zu reden sein wird – in trefflicher Weise beigetragen. Hier sind nämlich die gelisteten Jahresangaben der Erstveröffentlichung bei Blue Note-Titeln mit und ohne DG identisch! Was natürlich hanebüchener Unfug ist. Weiterhin sind beispielsweise auch Platten mit „Lexington“-Anschrift auf dem Label, ohne DG gelistet – und bewertet! Die Botschaft hör´ ich wohl.... . Also, mir ist eine solche Scheibe noch nicht untergekommen, und ich würde eine Zehnerkarte für die städtische Sauna in Castrop-Rauxel (wegen mir auch für die in Wanne-Eickel oder Bottrop) darauf verwetten, dass sie auch nicht existieren. Die „Problemfälle“ beschränken sich bei Blue Note meistens nur auf das Etikett des DG-Übergangsbereichs, nämlich auf „47/63“. Blue Note -O r i g i n a l e haben bis circa der Nummer 4055 d u r c h g e h e n d ein „Deep Groove“-Merkmal. Zwar gibt es noch Exemplare, die bis zu Anfang der 4100er Bestell-Nummern reichen; diese sind jedoch als Ausreißer anzusehen. (Logisches) Fazit: Fällt die Entstehungszeit eines Tonträgers – bei welcher Firma auch immer – in einen DG-relevanten Bereich, so besitzt die Originalpressung auch dieses Attribut!
Auch der nächste Teilaspekt betrifft die Firmen Blue Note und Atlantic. Es handelt sich nämlich um das „Phänomen“ der Existenz zweier unterschiedlicher Etiketten mit verschiedenen Datierungswerten auf ein und derselben Platte. Die unspektakuläre Erklärung hierfür wird niemanden, der bis hierhin durchgehalten hat, verwundern: Es wurden halt erst mal die („alten“) noch vorhandenen Label aus einer früheren Produktion aufgebraucht. Auch kommt es vor, dass eine Labelgeneration übersprungen wurde. Zur Zeitbestimmung werden verständlicherweise die Kennzeichen der jeweils jüngeren Ausfertigung benutzt. Bei diesen Platten handelt es sich in keinem Falle um Originale!
Sammler, die schon in den sechziger Jahren (private) Direktimporte aus England bezogen haben, werden sich an die briefmarkenähnlichen Steueretiketten auf dem Label erinnern. Diese Aufkleber gestatteten es dem (UK-) Lieferanten seinen Kunden von zusätzlichen (Zoll-) Abgaben zu befreien, indem er die Gebühr im voraus entrichtete und das mit dem Anbringen der Steueraufkleber dokumentierte. Bei normalen Handelsimporten war selbige Verfahrensweise allerdings nicht gebräuchlich; hier wurde zollamtlich abgerechnet. (Zu Zeiten der Schellack-Platten wurden mit den Aufklebern auch die von Land zu Land unterschiedlichen Urheberrechte abgegolten). Leider konnte ich bis jetzt nicht eruieren, bis wann der Gebrauch der Sticker üblich war, so dass sein Wert für eine Datierung noch mit „unklar“ umschrieben werden muss. Im übrigen wurden auch damals Einfuhren nach England vom britischen Fiskus mit einem ähnlichen Steuervermerk versehen, hier jedoch auf der Hüllenrückseite. Aber das nur nebenbei.
Als Sonderfälle müssen Aufkleber angesehen werden, die firmenseitig auf das Etikett aufgebracht wurden. Meistens beinhalten sie Informationen, die urheberrechtliche Belange betreffen. Es handelt sich also um Angaben, die sowieso von vorne herein, also sozusagen „von Haus aus“, auf das Label gehörten, aber entweder vergessen wurden oder sich vielleicht sogar geändert hatten und auf diese Art und Weise aktualisiert wurden. Wie dem auch gewesen sein mag, fest steht jedenfalls, dass wir hierbei immer von Ausnahmefällen auszugehen haben, die fast ausschließlich nur einzelne Titel betreffen, dabei aber durchaus aussagekräftig sein können, da diese Angaben bei einer Nachpressung logischerweise mit auf das Etikett gedruckt wurden. Ein Beispiel gefällig? – Die dänische Firma Steeple Chase Records vergaß wohl bei der Erstauflage der Nummer SCS-1001 (Jackie McLean) den Hinweis auf die zuständige (skandinavische) Verwertungsgesellschaft NCB (Nordisk Copyright Bureau), so dass die entsprechende Angabe im nachhinein durch einen Aufkleber hinzugefügt werden musste. Bei der darauf folgenden zweiten Pressung der Platte, die ansonsten absolut identisch mit dem Original ist, findet man den NCB-Kasten aufgedruckt auf dem Etikett.

1.5.5. Die (verwertbaren) Angaben auf dem Label

Mal abgesehen von den naturgemäß vorhandenen Informationen, deren Übermittlung die eigentliche Funktion des Etiketts darstellt, wie eben der Hinweis auf Interpret(en), Titel, Komponist(en), Laufzeiten, Umdrehungszahl (upm,rpm), (P)- und ©- Vermerk, Plattengesellschaft, Katalog-Nummer, Herkunftsland, Aufnahmeverfahren und diverser Androhungen bei einer Verletzung des Urheberrechts, gibt es doch noch einige spezifische und zum Teil markante Unterschiede. Aber der Reihe nach. Betrachten wir nochmals die oben aufgelistete Abfolge, so wird schnell klar, dass ein Teil dieser Mitteilungen (und deren Bewertung) schon in den vorangegangenen Untersuchungen eingehend abgehandelt wurden. Um Gähnanfällen vorzubeugen, sei nur noch mal in kurzen Zügen das kleine Einmaleins der Bewertungskriterien zu diesen Merkmalen wiederholt; nicht der inhaltlichen Deutung, sondern nur die der äußeren Form!
Zusammenfassen kann man sie alle unter dem Begriff: Positionskennzeichen. D.h., die Auswertung im Sinne der Fragestellung kann nur über die (unterschiedliche) räumliche Anordnung (und/oder über die Größe) erfolgen. Konkret: Ist eine (beliebige) Information bei vergleichbaren Objekten an verschiedenen Stellen des Labels zu finden oder ist sie nicht mehr vorhanden, muss es sich zwangsläufig um Kopien aus zeitlich oder geographisch abweichenden Herstellungsreihen handeln. Ebenso verhält es sich bei Adressänderungen (wobei wir hier über einen noch konkreteren Ansatz verfügen). In diesen Zusammenhang gehört auch der eingangs erwähnte Zip-Code bei US-Pressungen (vgl. dort).
In etwa ähnlich gelagert gestaltet sich die Auswertung der übrigen Angaben. Als da wären: a) Das Logo. Die Unterscheidungsmerkmale lassen sich grob in drei Kategorien einteilen und zwar in: 1. Position ( bei Atlantic, Capitol, Epic, Dot, Prestige etc.)
2. Größe (vor allem bei EmArcy, Jubilee, King und RCA von Wichtigkeit)
3. Umgestaltung (ABC, Atlantic, Imperial, Kent, Liberty, Mercury usw. usf.).
b) ® (Registry Mark) bzw. T.M. (Trade Mark). Steht für eingetragenes Warenzeichen, d.h. das Firmensignet (Logo) ist markenrechtlich geschützt, und der Hinweis ist deshalb meist in der Nähe des Markenzeichens zu finden. Es wird wohl kaum eine Plattengesellschaft geben (oder gegeben haben), die nicht ihr labeleigenes Logo hat urheberrechtlich schützen lassen. Aber nicht bei allen Firmen wurde dies auch von Anfang an mit den entsprechenden obigen Kürzeln versehen. Das Datum der Einführung bzw. der Verwendung ist also recht unterschiedlich, auch war es mancherorts nicht durchgängig in Gebrauch. Das betrifft zwar nur einige Label, ist aber zu berücksichtigen.
c) Angaben der Verwertungsgesellschaften. Die Aufgaben der Verwertungsgesellschaften bestehen in der Wahrung des urheberrechtlichen Schutzes von Tonaufnahmen. Sie vertreten also die Interessen der Rechteinhaber und überwachen die Aufführungs- und Senderechte, kassieren und verteilen die Gelder. In Deutschland macht das die allseits bekannte GEMA, in den USA sind es ASCAP und BMI (etc.), SACEM in Frankreich, NCB in Dänemark usw.. Es würde zu weit führen, wollte man eine komplette Liste der in Frage kommenden Vereine aufführen22. Alle Gesellschaften sind in dem in Paris ansässigen Dachverband BIEM zusammengeschlossen. Hier werden die internationalen Verträge und Vereinbarungen ausgehandelt.
Die Abkürzungen der Verwertungsgesellschaften sind meist in einem Rahmen oder Kasten auf dem Etikett vermerkt. In unserem Zusammenhang sind es nur Kennzeichen, bei denen Position, Existenz (oder Nichtexistenz), Form und Größe und - wie bei allen Hinweisen – der Zeitraum der Verwendung von Bedeutung ist. Hin und wieder ist auch bei fehlenden Herkunftsvermerken über die Information der Verwertungsgesellschaft das Herstellungsland zu ermitteln. So hatten (z.B.) viele deutsche Atlantic-Pressungen aus den sechziger Jahren keinerlei Vermerke auf das Produktionsland, außer eben den GEMA-Hinweis ( sieht man mal von der Coververarbeitung und den typischen Pressmerkmalen ab). Aber auch hierbei ist Vorsicht geboten, denn auch im Ausland hergestellte Platten für ein inländisches Label hatten natürlich den GEMA- (etc.) Vermerk.
Zu den urheberrechtlichen Angaben gehört auch das D.P.-Zeichen, es steht für Domaine public (oder im englischen: Public domain) und kennzeichnet Aufnahmen, deren Schutzfristen abgelaufen sind, die also ohne Lizenz-Abgaben veröffentlicht werden können. Der Zeitraum beträgt zur Zeit 50 Jahre.
d) Das Design. Zu den augenfälligsten Merkmalen gehört neben der Labelfarbe mit Sicherheit das Design. Erforderten Schellack-Etiketten noch eine plakative werbe- und verkaufswirksame Gestaltung23, so reduzierten sich die (funktionalen) Entwürfe für LP-Label mehr oder weniger auf eine Zweck- und Gebrauchsgraphik. Das heißt aber nicht, wie nun mal jeder weiß, dass ein eingeführtes Etikett nun für alle Zeiten beibehalten wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt keine Plattenfirma, die über einen längeren Zeitraum am Markt war und nicht wenigstens ein Mal das Labeldesign änderte. Auch Blue Note nicht. Die Einordnung und Bewertung einer Designänderung geht in den meisten Fällen Hand in Hand mit weiteren unterschiedlichen Merkmalen, vor allem mit einem gleichzeitigen Wechsel der Labelfarbe.
Mit den bisher angeführten primären Kennzeichen und ihrer (allgemeinen) Typisierung haben wir Instrumentarien zur Hand, welche die Möglichkeiten eröffnen, gangbare Schneisen ins Dickicht des Datierungsdschungels zu schlagen.

Im noch folgenden Teil der Darlegung werden wir uns den sekundären Datierungshilfen widmen. Das sind die Hilfsmittel, die uns (auch) eine Datum-orientierte Fixierung der bisher herausgearbeiteten und beschriebenen Faktoren ermöglichen. Es sind dies vor allem (zeitgenössische) Periodika, (schriftliche) Eigenveröffentlichungen der Plattengesellschaften, Firmenbiographien, Discographien sowie Publikationen und weitere Literatur zum Thema.

Anmerkungen:

10) Es müsste natürlich präzise heißen: „....zwischen der Auslaufrille“. Da sich aber die Wendung: „...in der Auslaufrille“ weitgehend eingebürgert hat und in Sammlerkreisen umgangssprachlich Verwendung findet, habe auch ich es dabei belassen.
11) Nach Martin Schaefer/Manfred Körfer: Tonträgerpiraterie, Starnberg 1995, S.72, „unterscheiden sich die Fertigungsmaschinen in Details so sehr, dass man vom Fingerabdruck eines Presswerks oder sogar einzelner Maschinen sprechen kann“. Leider geben uns die Autoren keinerlei Hinweise darauf, um welche Merkmale es sich handeln könnte. Ferner ist auch nicht auszumachen, ob sie sich auf die LP- oder CD-Produktion beziehen.
12) Sehr ausführlich behandelt diesen Aspekt Dietrich Brakemeier in seiner umfangreichen Schrift: Living Stereo; München 1994. Vgl. weiterhin: Fritz Bergtold: Moderne Schallplattentechnik, München 1959. Beinhaltet auch viele Detailinformationen zu den Produktionstechniken der fünfziger Jahre. Mit Sicherheit gibt es noch weitere Literatur zu diesem Themenkreis, die mir im einzelnen aber nicht bekannt ist. Der interessierte Leser wird sie zu finden wissen.
13) Vgl. D.A. Snell: Magnetische Tonaufzeichnung, Eindhoven 1963; auch: Siegmar Spanger/Hans Koebner: Das Tonband-Buch, Seebruck 1965. Zur Entwicklungsgeschichte siehe: David Morton: Off the record – The technology and culture of sound recording in America, London (etc.) 2000; Pekka Gronow/Ilpo Saunio: An international history of the recording industry, London (etc.) 1998, S.133 f.. Die Entwicklung hin zum Tonbandgerät wie wir es heute noch kennen, fußt auf einer deutschen Erfindung. So wurden schon während der letzten Tage des II. Weltkrieges von den amerikanischen Besatzungstruppen die in den deutschen Funkhäusern eingesetzten Geräte demontiert und mit samt ihren Patentrechten befreit.
14) Bei der Entschlüsselung dieser Daten haben vor allem Audiophile aus dem Klassik-Sektor Pionierarbeit geleistet. Und so halte ich mich bei der Dechiffrierung der RCA-Angaben im großen und ganzen an Phil M.Rees: Audiophile record collector´s handbook, (mir liegt hier nur eine Kopie des relevanten Abschnitts vor, so dass ich z.Zt. zu Ort und Jahr keine Angaben machen kann. Dank an T.Labusga für diesen Auszug). Auch Brakemeier, a.a.O., S. CLXVII ff. schöpft (wahrscheinlich) aus dieser Quelle. Allerdings sind die Informationen bei Brakemeier weitaus detaillierter und umfangreicher; obwohl in einigen Punkten nicht ganz schlüssig.
15) Lt. Brakemeier, a.a.O., S. CLXXVIII f. „.... ist (dies) die Identifikationsnummer für das verwendete Band. (...) Sie bezeichnet nur, das wievielte Aufnahmeband des entsprechenden Jahres hier vorliegt“. Obige Aussage muss mit einem dicken Fragezeichen versehen werden!
16) Die Identifizierung von CD-Presswerken gestaltet sich ähnlich einfach, da auf dem Innenring der CD der so genannte SID-Code verzeichnet ist. Über einen weiteren Code ist auch der Hersteller des Masters zu ermitteln. Vgl. Schaefer/Körfer, a.a.O., S. 76.
17) Der Ursprung der „Ear-Mark“ ist noch nicht abschließend geklärt; es könnte sich auch um das Signet eines Presswerkes handeln. (Was ich aber für nicht sehr wahrscheinlich halte). Allerdings haben viele frühen Pressungen mit diesem Merkmal auch ein „Wb“-Zeichen, welches auf einen Schneidingenieur hinweisen könnte.
18) Zur Problematik der Delta-Nummern vgl. Ray Astbury: Delta numbers, in: Blues & Rhythm Nr.28 (April 1987) S. 21 und ders.: Delta numbers update, in: Blues & Rhythm Nr.36 (May/June 1988), S.10.
19) Angaben und Erklärungen zu einigen 78er Matrizen-Kennungen sind (u.a.) zu finden in: Robert M.W.Dixon/John Godrich: Blues & Gospel Records 1902 – 1943, Chigwell 1982, S.8; Joachim Schütte: Schallplatten sammeln, Menden 1993; Brian Rust: The American Record Label Book, New York 1984.
20) Auf dieser (sehr unsicheren) Methode basiert die Arbeit von Galen Gart: ARLD – The American Record Label Directory and Dating Guide, 1940 – 1959, Milford 1989.
21) Vgl. Harald Fibiger: Einführung in die Papier-, Zellstoff- und Holzschliffprüfung, Heidelberg 1954. Standardwerk der Zeit. Beschreibt die Bestimmungs-, Auswertungs- und Nachweismethoden.
22) Eine weitreichende Listung und eingehende Aufgabenbeschreibungen der Verwertungsgesellschaften enthält die Schrift von Robert Lyng: Die Praxis im Musikbusiness, München 1990, S. 50 ff.. Vgl. auch: Jan Herchenröder: Wir sammeln Schallplatten, Gütersloh 1961, S. 64.
23) Zur Ikonographie der Schellack-Etiketten siehe: Rainer E.Lotz: Grammophonplatten aus der Ragtime-Ära, Dortmund 1979, S. 196 ff..

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