Jazz
auf audiophilen Platten
(dies ist ein Artikel, den ich irgendwann zwischen 1995 und 2000 für das Magazine Analogue geschrieben habe. Lust zu lesen?)
von
Michael Frohne („Dr.Jazz“)
Das
Thema aus dem Bereich „Jazz“ in dieser Ausgabe ist mit Absicht weit gefaßt:
damit sind sowohl Neupressungen auf dickem, jungfräulichem Vinyl,
direkt-geschnittene Normalvinyls als auch Aufnahmesitzungen mit ungewöhnlichen
Techniken und Aufzeichnungen gemeint.
Darauf wird in der jeweiligen Besprechung hingewiesen.
Die
Auswahl ist rein subjektiv, auch die Bewertungen können nicht immer
Allgemeingültigkeit haben: Zu unterschiedlich sind der Zustand der meist
historischen Platten; die Abspielgeräte, Wohnlandschaften auch die geistige und
körperliche Verfassung des/der Hörenden spielt eine wichtige Rolle bei der
Beurteilung.
Zur
Herkunft der Platten: Alle sind aus meiner Privatsammlung, einiges wurde in den
letzten 20 Jahren bei Auktionen second-hand gekauft, anderes ist absolut neu
und kann ohne Probleme heute von den Leserinnen und Hörern gekauft werden.
Steeplechase
Direct Cutting SCD-17002
Walt
Dickerson vibraphon
Infinite
love / Love is you / Interim love
rec.
6.11.1977 Medio Sound Studios, NYC
Aufnahme:
Michael Barbiero
Das
Direktschnitt-Aufnahme-Verfahren ist für die Jazzmusiker eigentlich der
Normalfall - zumindest was das Einspielen eines einzigen Titels betrifft und
dies nicht nur bei Live-Mitschnitten in Clubs und Konzerten, sondern auch im
Studio. Die Aufnahmetechnik und das Reproduktionsverfahren sind bei
Direktschnittverfahren grundsätzlich verschieden, kann aber an anderer Stelle
von Technikern besser beschrieben werden.
Der
Produzent Nils Winther der dänische Firma Steeplechase hat 3 Platten in dieser
Technik veröffentlicht, notwendigerweise streng limitiert, weil ja nicht
unbegrenzt viele Platten von der direktbespielten und geschnittenen
Mutter-matrize hergestellt werden können. Die technische Meisterleistung das
schwierige Solo-instrument Vibraphon adäquat ohne Verzerrungen aufzunehmen, ist
hier beispielhaft. Jedes Vibrato, jede Dämpfung ist nachvollziehbar, ja
manchmal ist das Treten des Dämpferpetals direkt störend! Etwas zuviel
Grundrauschen trübt den Genuß, ist aber nur bei Einzeltönen vernehmbar. Für den
Repertoirewert würde ich 4 Sterne vergeben, auch weil die sonst
allgegenwärtigen Lionel Hampton oder Milt Jackson-Floskeln vermieden werden.
Entdeckenswert!
Verve
MG N-1078
The
monster / Sunday
Thad
Jones, Joe Newman tp / Ben Webster, Frank Wess ts / Oscar Peterson p / Freddie
Green g / Ray Brown b / Buddy Rich dr
Sonny
and sweets / Smooth one / Broadway / The two mothers
Harry
Edison tp / Sonny Criss as / Jimmy Rowles p /
John Simmons b / Buddy Rich dr
rec.
16.5.1955 NYC / 10.11.1955 Los Angeles,CA
Aufnahme
? / Produzent Norman Granz
Der
Großkonzern Polygram mit seinem japanischen Ableger hat 180gr Vinyl Platten veröffentlicht.
Leider wurde nicht chronologisch richtig zusammengestellt, sondern nach
Verkaufsgesichtspunkten. In Mono mit vollem Druck aus beiden Rillen kommen
diese mittelgroßen Buddy Rich Besetzungen daher. Von antiquarischem Knistern
keine Spur, reines Hörvergnügen ist angesagt; man merkt, hier, kurz vor der
allgemeinen Einführung der Stereophonie hatten die Techniker den Monosound bis
zur Vollendung ausgereizt. Auch musikalisch ist die Platte ein Genuß, dafür
bürgen bei beiden Sessions Ben Webster, Harry Sweets Edison und Sonny Criss,
die durch die Bassisten und den hier ohne Starallüren agierenden Buddy Rich zu
Höchstleistungen angetrieben werden. Allerhöchste Bewertung für Repertoire (Für
Puristen: die LP ist ein Zusammenschnitt aus Norgran MG N-1031 und Norgran MG
N-1052) und Technik, nur der Preis, der Preis.....tut weh!
Edition
Phönix EPH 08 (ehemals Black Lion/Intercord)
Teddy
Wilson p / Peter Chapman b / Johnny Richardson dr / added Dave Shepherd cl /
Ronnie Gleaves vib
Stomping
at the Savoy / I can’t get started / Sometimes I’m happy / Body and soul / I’ll
never be the same / Easy living / Green Dolphin Street / Honeysuckle rose
rec.
18.Juni 1967 Chappell Studios, London
Aufnahme:
John Timperley / remastered Wilfried Zahn
AAA-Ton-“Meister“
Wilfried Zahn bewies eine gute Hand bei dieser Neuabmischung und -pressung des
Meisters des Swing-Pianos. Das Piano wurde in den Londoner Studios unter dem
Black Lion Produzenten Alan Bates nicht sonderlich prägnant, eher etwas
gedämpft aufgenommen. Wilfried Zahn widerstand der Versuchung, manipulativ
einzugreifen. So bleibt das Klangbild dem Jahr 1967 entsprechend: wenig luftig
und tief, dafür aber kommunikativ und flächig.
Die
Phönix-Ausgabe (Ein Kritikpunkt : Das Cover ist leider etwas verwaschen und
kontrastarm in der Reproduktion) ist eher für Hi-Fi-Freaks als für Jazz-Fans,
die ja sowieso angeblich alles haben, interessant. Es sei denn, die alte Platte
hat Kratzer oder Knacker, dann sollte man schnell zugreifen! Die alte
Intercord/Black Lion Ausgabe meiner Sammlung steht übrigens dieser neuen
Auflage technisch nicht viel nach: die Pressung ist auch sauber, nur das
Vibraphon scheppert manchmal etwas. Der Repertoire-Wert beider Ausgaben ist
weniger hoch anzusetzen, weil weder die englische Rhythmusgruppe noch die 2
anderen Solisten an die Benny Goodman Formationen anknüpfen können. Für Discophile noch ein kleines
Zusatz: Es wurden an diesem Tag so viele Titel eingespielt, daß 3 Platten
veröffentlicht werden konnten - zwei auf Black Lion und eine auf Polydor.
Sheffield
Lab LAB-6
The
footstomper / You’ll never know / Motenswing / Two o’clock jump / Watch what
happens / Tuxedo junction / Opus number one / Make the world go away / Blues
for sale
Harry
James, Nick Buono, Gino Bozzacco, William Hicks, Robert Berrenson tp / Tom
Padveen, Chuck Anderson tb / Houghton Peterson b-tb / Quin Davis, Pat Longo,
Mel Kunkle, Bob Lawson, Norman Smith sax / Tommy Todd p / Dave Stone b / Les
DeMerle dr
rec.
29/30.7.1976 Hollywood,CA
Aufnahme:
Ron Hitchcock / Produzent Lincoln Mayorga & Doug Sax
Die
Platten aus den Sheffield Labororatorien in Los Angeles zeichnen sich dadurch
aus, daß Direktschnitt, ohne Begrenzer, ohne technische Kosmetika mit
sorgfältiger Fertigungsprüfung angesagt ist. Mit Garantie! Neben Klassikplatten
wurden auch 2 Harry James Big Band LP’s produziert. Zur Technik: Die
Blechbläser haben Vorteile, ihre Power kommt am besten rüber, die meist unisono
agierenden Holzbläser haben da hörbare Schwierigkeiten, die Rhythmusgruppe ist
etwas schwammig, die Position des Klaviers ist aber nachvollziehbar hinten
links. Vielleicht liegt es aber auch an der unterschiedlichen musikalischen
Potenz: Logisch, daß der Sweet-Trompeter Harry James im hohen Alter ein bißchen
Unterstützung nötig hat. Die Stücke der LP sind eine gute Mischung aus Hits und
neuen Arrangements. Bewertung: technisch 3 (wegen fehlender Luftigkeit dieser
Studioaufnahme) musikalisch 2 weil doch einiges zuviel Süsses serviert wird.
Reference
Recordings RR-8
Rhee
waahnee / The forward look / Between the devil and the deep blue sea / Room 608
/ For Lena and Lennie / Cookin’ at the Continental
Red
Norvo vib / Jimmy Wyble g / Red Wooten b / John Markham dr / added Jerry
Dodgion reeds
rec.
31.12.1957 at Prof. Johnson’s,
Stanford,CA
Aufnahme:
Keith Johnson / Produzent: J.Tamblyn Henderson
23
Jahre hatten diese Aufnahmen als tape vergessen in einer Box auf ihre
Veröffentlichung warten müssen. Mit einfachster 3-Kanal-Technik live
aufgenommen , aber mit Röhrenverstärkern, Equalizern und bereits mit
Ozillographen-Feldstärke-Anzeigern abgemischt, sind sie allererste Sahne. Auch
heute noch! Ohne nostalgisch zu werden: wie wenig hat sich doch in den letzten
30 Jahren in der Aufnahmetechnik verbessert! Klare Abgrenzung, definierte
Standorte sorgen für nachvollziehbare Stimmen, der Gruppensound ist
übersichtlich, die Pressung sehr sauber. Man möchte rausschreien: so wird’s
gemacht!!! 5 Sterne für Technik und Musik.
P.S.
Es gibt einen Sampler mit einem weiteren Titel dieser Session plus
Hörbeispielen anderer Reference Aufnahmen.
Warner
Brothers BS1443
One
o’clock jump / Speak low / Tonight / Lover / Marie / Kook-a-ra-cha waltz /
You’re just in love / I’m gettin’ sentimental over you / Stompin’ at the Savoy
/ Baubles, bangles and beads / Taboo
Shorty
Rogers tp,flh / Ken Shroyer tb or George Roberts tb /Bill Hood, Paul horn, Bud
Shank, Buddy Collette reeds / Emil Richards vib / Pete Jolly p / Red Mitchell b
or Joe Mondragon b / Shelly Manne dr
rec.
November 1961 Los Angeles,CA
Aufnahme:
?
Neue
Perspektiven, was die Aufzeichnung des Stereosounds angeht, hatte seinerzeit
die Firma Warner Brothers aufgezeigt. Man strebte die absolute Trennung aller
Instrumente an und gab folgerichtig jedem ein eigenes und spezielles Mikrophon.
Dazu noch ein eigenes Tonbandgerät für jeden Kanal! Die Techniker konnte dann
abmischen, wie sie wollten: Lautstärke und Standorte konnten frei gewählt werden,
selbst Höhen und Tiefen einzelner Instrumente konnten auf die Kanäle verteilt
werden. Begrenzer- oder Kompressions-Verstärker wurden nicht benutzt. So sind
die leider wenigen „Stereo Workshop-LP’s“ ein Hörgenuß ersten Ranges. Etwas
weniger Manipulation am Echogerät hätte ich mir schon gewünscht, aber die
Sitzposition der Musiker im Studio bleibt so nachvollziehbar. Auch musikalisch
können die 11 Titel einen gelungenen Mix darstellen: Klassiker wie Dorsey’s „
Marie“ oder Basie’s „One o’clock jump“ in neuen Westcoast-Arrangements zu
hören, macht Spaß. Deshalb: 4 Sterne für Technik und Musik.
Mercury
PPS 2016
Carnival
of Venice / Hot lips /Cherry pink and apple blossom white / Struttin’ with some
barbecue / Strumpets at large / Guitarsville / Ciribiribin / Sugar blues /
Whispering / Echoes of Harlem / Ten trumpets have I / Two guitars
Frank
Beach, Conte Candoli, Pete Candoli, Mannie Klein, Cappy Lewis, Ollie Mitchell,
Uan Rasey, Joe Triscari, Bud Brisbois, Don Fagerquist, Ray Triscarit tp,flh /
Howard Roberts, Al Viola g / Alvin Stoller, Shelly Manne or Larry Bunker perc /
Pete Rugolo arr cond
rec.
ca. 1960, Los Angeles,CA
Aufnahme:
Bones Howe / Produzent: David Carroll
Der
Stan Kenton-Arrangeur Pete Rugolo war ein Meister ungewöhnlicher
Klangkombinationen: 10 Saxophone und 2 Bässe oder wie hier 10 Trompeten mit 2
Gitarren, damit entstanden neue Klangbilder alter Swinghits. Aufgenommen,
gemischt und verkauft wurden die Platten von Mercury gleichzeitig in Mono-und Stereo-Fassungen.
Ungewöhnlich das Bandmaterial: Magnetfilm bot die Chance, hohe Frequenzen
verzerrungsfrei aufzunehmen. Hohe Transparenz und ein runder Ton waren oft das
Ergebnis. Das ist auch hier bei dieser LP aus dem Raritätenschrank der Fall,
wenn auch manchmal zu sehr höhenbetont: die CD-Hörer werden ihr Klangbild
wiedererkennen. In den Klappcovern wurde detailliert die Aufnahmetechnik
beschrieben und gezeichnet und zudem die Vorteile das Magnetfilms (Banddicke,
Kanaltrennung, Geschwindigkeit) gepriesen. Musikalisch gehört die Aufnahmen in
die Tanzmusikecke, aus technischer Sicht sollte eine Platte in der Sammlung
eines jeden Hi-Fi-Freaks stehen. Die zu vergebenen Sterne schimmern etwas
schwach: 2 für die Musik und 3 für die Technik.
Mosaic
MQ8-146
81
Titel mit Louis Armstrong tp,voc / Jack Teagarden tb,voc / Barney Bigard cl
oder Edmond Hall cl / Earl Hines p / Arvell Shaw b / Cozy Cole dr / Velma
Middleton voc + einigen Gästen bei manchen Titeln
rec.
zwischen 1950 - 1958
Aufnahme:
? / Produzent Milt Gabler / Re-issue Michael Cuscuna + Charlie Lourie
Auf
8 LP’s sind die gesamten All Stars-Studio Sessions für Decca neu
zusammengestellt worden - inklusive der Singles und unveröffentlichten Titel.
Ein Booklet mit ausführlicher Beschreibung der Sessions und seltene Fotos
machen die Mosaic-Box zu einem Leckerbissen. Die Ohren können an diesem
Festessen teilhaben: Sind doch die Aufnahmen vorbildlich abgemischt worden und
auch die für damalige Verhältnisse hohe Bandgeschwindigkeit von 38 cm/s bot
hervorragendes Ausgangsmaterial. Die manchmal etwas „gestyled“ wirkenden
Überleitungen aus der LP Box „Musical Autobiography“ wurden ausgelassen und so
bieten diese neuen 180gr Vinyls, die auch noch limitiert sind, alles andere als
eine Geldanlage ($104).
Bezug
nur über Postversand: Mosaic 35 Melrose
Place Stamford, CT 06902-9733 USA
Weiterhin
wird der Jazz-Info-Dienst zu Fragen nach LP’s, Titeln, Musikern oder Daten
angeboten.
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