Mittwoch, 8. April 2015

Jazz auf audiophilen Platten
(dies ist ein Artikel, den ich irgendwann zwischen 1995 und 2000 für das Magazine Analogue geschrieben habe. Lust zu lesen?)

von Michael Frohne („Dr.Jazz“)

Das Thema aus dem Bereich „Jazz“ in dieser Ausgabe ist mit Absicht weit gefaßt: damit sind sowohl Neupressungen auf dickem, jungfräulichem Vinyl, direkt-geschnittene Normalvinyls als auch Aufnahmesitzungen mit ungewöhnlichen Techniken und  Aufzeichnungen gemeint. Darauf wird in der jeweiligen Besprechung hingewiesen.
Die Auswahl ist rein subjektiv, auch die Bewertungen können nicht immer Allgemeingültigkeit haben: Zu unterschiedlich sind der Zustand der meist historischen Platten; die Abspielgeräte, Wohnlandschaften auch die geistige und körperliche Verfassung des/der Hörenden spielt eine wichtige Rolle bei der Beurteilung.
Zur Herkunft der Platten: Alle sind aus meiner Privatsammlung, einiges wurde in den letzten 20 Jahren bei Auktionen second-hand gekauft, anderes ist absolut neu und kann ohne Probleme heute von den Leserinnen und Hörern gekauft werden.


Walt Dickerson  Shades of love

Steeplechase Direct Cutting SCD-17002

Walt Dickerson vibraphon
Infinite love / Love is you / Interim love
rec. 6.11.1977 Medio Sound Studios, NYC
Aufnahme: Michael Barbiero

Das Direktschnitt-Aufnahme-Verfahren ist für die Jazzmusiker eigentlich der Normalfall - zumindest was das Einspielen eines einzigen Titels betrifft und dies nicht nur bei Live-Mitschnitten in Clubs und Konzerten, sondern auch im Studio. Die Aufnahmetechnik und das Reproduktionsverfahren sind bei Direktschnittverfahren grundsätzlich verschieden, kann aber an anderer Stelle von Technikern besser beschrieben werden.
Der Produzent Nils Winther der dänische Firma Steeplechase hat 3 Platten in dieser Technik veröffentlicht, notwendigerweise streng limitiert, weil ja nicht unbegrenzt viele Platten von der direktbespielten und geschnittenen Mutter-matrize hergestellt werden können. Die technische Meisterleistung das schwierige Solo-instrument Vibraphon adäquat ohne Verzerrungen aufzunehmen, ist hier beispielhaft. Jedes Vibrato, jede Dämpfung ist nachvollziehbar, ja manchmal ist das Treten des Dämpferpetals direkt störend! Etwas zuviel Grundrauschen trübt den Genuß, ist aber nur bei Einzeltönen vernehmbar. Für den Repertoirewert würde ich 4 Sterne vergeben, auch weil die sonst allgegenwärtigen Lionel Hampton oder Milt Jackson-Floskeln vermieden werden. Entdeckenswert!


Buddy Rich  The wailing


Verve MG N-1078

The monster / Sunday
Thad Jones, Joe Newman tp / Ben Webster, Frank Wess ts / Oscar Peterson p / Freddie Green g / Ray Brown b / Buddy Rich dr

Sonny and sweets / Smooth one / Broadway / The two mothers
Harry Edison tp / Sonny Criss as / Jimmy Rowles p /  John Simmons b / Buddy Rich dr
rec. 16.5.1955 NYC / 10.11.1955 Los Angeles,CA
Aufnahme ? / Produzent  Norman Granz

Der Großkonzern Polygram mit seinem japanischen Ableger hat 180gr Vinyl Platten veröffentlicht. Leider wurde nicht chronologisch richtig zusammengestellt, sondern nach Verkaufsgesichtspunkten. In Mono mit vollem Druck aus beiden Rillen kommen diese mittelgroßen Buddy Rich Besetzungen daher. Von antiquarischem Knistern keine Spur, reines Hörvergnügen ist angesagt; man merkt, hier, kurz vor der allgemeinen Einführung der Stereophonie hatten die Techniker den Monosound bis zur Vollendung ausgereizt. Auch musikalisch ist die Platte ein Genuß, dafür bürgen bei beiden Sessions Ben Webster, Harry Sweets Edison und Sonny Criss, die durch die Bassisten und den hier ohne Starallüren agierenden Buddy Rich zu Höchstleistungen angetrieben werden. Allerhöchste Bewertung für Repertoire (Für Puristen: die LP ist ein Zusammenschnitt aus Norgran MG N-1031 und Norgran MG N-1052) und Technik, nur der Preis, der Preis.....tut weh!


Teddy Wilson  Stomping at the Savoy

Edition Phönix EPH 08 (ehemals Black Lion/Intercord)

Teddy Wilson p / Peter Chapman b / Johnny Richardson dr / added Dave Shepherd cl / Ronnie Gleaves vib
Stomping at the Savoy / I can’t get started / Sometimes I’m happy / Body and soul / I’ll never be the same / Easy living / Green Dolphin Street / Honeysuckle rose
rec. 18.Juni 1967 Chappell Studios, London
Aufnahme: John Timperley / remastered Wilfried Zahn

AAA-Ton-“Meister“ Wilfried Zahn bewies eine gute Hand bei dieser Neuabmischung und -pressung des Meisters des Swing-Pianos. Das Piano wurde in den Londoner Studios unter dem Black Lion Produzenten Alan Bates nicht sonderlich prägnant, eher etwas gedämpft aufgenommen. Wilfried Zahn widerstand der Versuchung, manipulativ einzugreifen. So bleibt das Klangbild dem Jahr 1967 entsprechend: wenig luftig und tief, dafür aber kommunikativ und flächig.
Die Phönix-Ausgabe (Ein Kritikpunkt : Das Cover ist leider etwas verwaschen und kontrastarm in der Reproduktion) ist eher für Hi-Fi-Freaks als für Jazz-Fans, die ja sowieso angeblich alles haben, interessant. Es sei denn, die alte Platte hat Kratzer oder Knacker, dann sollte man schnell zugreifen! Die alte Intercord/Black Lion Ausgabe meiner Sammlung steht übrigens dieser neuen Auflage technisch nicht viel nach: die Pressung ist auch sauber, nur das Vibraphon scheppert manchmal etwas. Der Repertoire-Wert beider Ausgaben ist weniger hoch anzusetzen, weil weder die englische Rhythmusgruppe noch die 2 anderen Solisten an die Benny Goodman Formationen anknüpfen  können. Für Discophile noch ein kleines Zusatz: Es wurden an diesem Tag so viele Titel eingespielt, daß 3 Platten veröffentlicht werden konnten - zwei auf Black Lion und eine auf Polydor.

Harry James  Comin’ from a good place

Sheffield Lab LAB-6

The footstomper / You’ll never know / Motenswing / Two o’clock jump / Watch what happens / Tuxedo junction / Opus number one / Make the world go away / Blues for sale
Harry James, Nick Buono, Gino Bozzacco, William Hicks, Robert Berrenson tp / Tom Padveen, Chuck Anderson tb / Houghton Peterson b-tb / Quin Davis, Pat Longo, Mel Kunkle, Bob Lawson, Norman Smith sax / Tommy Todd p / Dave Stone b / Les DeMerle dr
rec. 29/30.7.1976 Hollywood,CA
Aufnahme: Ron Hitchcock / Produzent Lincoln Mayorga & Doug Sax

Die Platten aus den Sheffield Labororatorien in Los Angeles zeichnen sich dadurch aus, daß Direktschnitt, ohne Begrenzer, ohne technische Kosmetika mit sorgfältiger Fertigungsprüfung angesagt ist. Mit Garantie! Neben Klassikplatten wurden auch 2 Harry James Big Band LP’s produziert. Zur Technik: Die Blechbläser haben Vorteile, ihre Power kommt am besten rüber, die meist unisono agierenden Holzbläser haben da hörbare Schwierigkeiten, die Rhythmusgruppe ist etwas schwammig, die Position des Klaviers ist aber nachvollziehbar hinten links. Vielleicht liegt es aber auch an der unterschiedlichen musikalischen Potenz: Logisch, daß der Sweet-Trompeter Harry James im hohen Alter ein bißchen Unterstützung nötig hat. Die Stücke der LP sind eine gute Mischung aus Hits und neuen Arrangements. Bewertung: technisch 3 (wegen fehlender Luftigkeit dieser Studioaufnahme) musikalisch 2 weil doch einiges zuviel Süsses serviert wird.

Red Norvo Quintet  The forward look

Reference Recordings RR-8

Rhee waahnee / The forward look / Between the devil and the deep blue sea / Room 608 / For Lena and Lennie / Cookin’ at the Continental
Red Norvo vib / Jimmy Wyble g / Red Wooten b / John Markham dr / added Jerry Dodgion reeds
rec. 31.12.1957  at Prof. Johnson’s, Stanford,CA
Aufnahme: Keith Johnson / Produzent: J.Tamblyn Henderson

23 Jahre hatten diese Aufnahmen als tape vergessen in einer Box auf ihre Veröffentlichung warten müssen. Mit einfachster 3-Kanal-Technik live aufgenommen , aber mit Röhrenverstärkern, Equalizern und bereits mit Ozillographen-Feldstärke-Anzeigern abgemischt, sind sie allererste Sahne. Auch heute noch! Ohne nostalgisch zu werden: wie wenig hat sich doch in den letzten 30 Jahren in der Aufnahmetechnik verbessert! Klare Abgrenzung, definierte Standorte sorgen für nachvollziehbare Stimmen, der Gruppensound ist übersichtlich, die Pressung sehr sauber. Man möchte rausschreien: so wird’s gemacht!!! 5 Sterne für Technik und Musik.
P.S. Es gibt einen Sampler mit einem weiteren Titel dieser Session plus Hörbeispielen anderer Reference Aufnahmen.


Shorty Rogers  The Fourth Dimension in Sound

Warner Brothers BS1443
One o’clock jump / Speak low / Tonight / Lover / Marie / Kook-a-ra-cha waltz / You’re just in love / I’m gettin’ sentimental over you / Stompin’ at the Savoy / Baubles, bangles and beads / Taboo

Shorty Rogers tp,flh / Ken Shroyer tb or George Roberts tb /Bill Hood, Paul horn, Bud Shank, Buddy Collette reeds / Emil Richards vib / Pete Jolly p / Red Mitchell b or Joe Mondragon b / Shelly Manne dr
rec. November 1961 Los Angeles,CA
Aufnahme: ?

Neue Perspektiven, was die Aufzeichnung des Stereosounds angeht, hatte seinerzeit die Firma Warner Brothers aufgezeigt. Man strebte die absolute Trennung aller Instrumente an und gab folgerichtig jedem ein eigenes und spezielles Mikrophon. Dazu noch ein eigenes Tonbandgerät für jeden Kanal! Die Techniker konnte dann abmischen, wie sie wollten: Lautstärke und Standorte konnten frei gewählt werden, selbst Höhen und Tiefen einzelner Instrumente konnten auf die Kanäle verteilt werden. Begrenzer- oder Kompressions-Verstärker wurden nicht benutzt. So sind die leider wenigen „Stereo Workshop-LP’s“ ein Hörgenuß ersten Ranges. Etwas weniger Manipulation am Echogerät hätte ich mir schon gewünscht, aber die Sitzposition der Musiker im Studio bleibt so nachvollziehbar. Auch musikalisch können die 11 Titel einen gelungenen Mix darstellen: Klassiker wie Dorsey’s „ Marie“ oder Basie’s „One o’clock jump“ in neuen Westcoast-Arrangements zu hören, macht Spaß. Deshalb: 4 Sterne für Technik und Musik.

Pete Rugolo Ten Trumpets and 2 Guitars

Mercury PPS 2016

Carnival of Venice / Hot lips /Cherry pink and apple blossom white / Struttin’ with some barbecue / Strumpets at large / Guitarsville / Ciribiribin / Sugar blues / Whispering / Echoes of Harlem / Ten trumpets have I / Two guitars

Frank Beach, Conte Candoli, Pete Candoli, Mannie Klein, Cappy Lewis, Ollie Mitchell, Uan Rasey, Joe Triscari, Bud Brisbois, Don Fagerquist, Ray Triscarit tp,flh / Howard Roberts, Al Viola g / Alvin Stoller, Shelly Manne or Larry Bunker perc / Pete Rugolo arr cond
rec. ca. 1960, Los Angeles,CA
Aufnahme: Bones Howe / Produzent: David Carroll

Der Stan Kenton-Arrangeur Pete Rugolo war ein Meister ungewöhnlicher Klangkombinationen: 10 Saxophone und 2 Bässe oder wie hier 10 Trompeten mit 2 Gitarren, damit entstanden neue Klangbilder alter Swinghits. Aufgenommen, gemischt und verkauft wurden die Platten von Mercury gleichzeitig in Mono-und Stereo-Fassungen. Ungewöhnlich das Bandmaterial: Magnetfilm bot die Chance, hohe Frequenzen verzerrungsfrei aufzunehmen. Hohe Transparenz und ein runder Ton waren oft das Ergebnis. Das ist auch hier bei dieser LP aus dem Raritätenschrank der Fall, wenn auch manchmal zu sehr höhenbetont: die CD-Hörer werden ihr Klangbild wiedererkennen. In den Klappcovern wurde detailliert die Aufnahmetechnik beschrieben und gezeichnet und zudem die Vorteile das Magnetfilms (Banddicke, Kanaltrennung, Geschwindigkeit) gepriesen. Musikalisch gehört die Aufnahmen in die Tanzmusikecke, aus technischer Sicht sollte eine Platte in der Sammlung eines jeden Hi-Fi-Freaks stehen. Die zu vergebenen Sterne schimmern etwas schwach: 2 für die Musik und 3 für die Technik.

Louis Armstrong  The Complete Decca Studio Recordings of  Louis Armstrong and the All Stars

Mosaic MQ8-146

81 Titel mit Louis Armstrong tp,voc / Jack Teagarden tb,voc / Barney Bigard cl oder Edmond Hall cl / Earl Hines p / Arvell Shaw b / Cozy Cole dr / Velma Middleton voc + einigen Gästen bei manchen Titeln
rec. zwischen 1950 - 1958
Aufnahme: ? / Produzent Milt Gabler / Re-issue Michael Cuscuna + Charlie Lourie

Auf 8 LP’s sind die gesamten All Stars-Studio Sessions für Decca neu zusammengestellt worden - inklusive der Singles und unveröffentlichten Titel. Ein Booklet mit ausführlicher Beschreibung der Sessions und seltene Fotos machen die Mosaic-Box zu einem Leckerbissen. Die Ohren können an diesem Festessen teilhaben: Sind doch die Aufnahmen vorbildlich abgemischt worden und auch die für damalige Verhältnisse hohe Bandgeschwindigkeit von 38 cm/s bot hervorragendes Ausgangsmaterial. Die manchmal etwas „gestyled“ wirkenden Überleitungen aus der LP Box „Musical Autobiography“ wurden ausgelassen und so bieten diese neuen 180gr Vinyls, die auch noch limitiert sind, alles andere als eine Geldanlage ($104).
Bezug nur über Postversand:  Mosaic 35 Melrose Place  Stamford, CT 06902-9733 USA

Weiterhin wird der Jazz-Info-Dienst zu Fragen nach LP’s, Titeln, Musikern oder Daten angeboten.



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