1982 war ich zum ersten und bis heute einzigen Mal in New York. Die grosse Demonstration mit mehr als 1 Millionen Menschen war der Anlass. In der folgenden Woche konnte ich mit Lee Konitz einige Konzerte sehen, war in ein paar Jazzschuppen in Stuyvesant Town, übernachtete in der Wohnung des Schlagzeugers Doug Hammond und machte für das Jazzpodium und für Radio Dreyeckland das nachfolgende Interview bei
Radio WKCR In New York
66 Stunden Jazz wöchentlich
Unter den vielen
Radiostationen in den USA und in New York hat WKCR auf 89.9 UKW sicher eine
Sonderstellung. Neben Berichten über Rentenkontrollen in den USA,
Atommülltransporten und die Abhängigkeit von den mexikanischen Öltransporten
nimmt der Jazz und die moderne Avantgarde-Musik einen großen Teil des
,,non-commercial"-Programms ein. Daß die Radiostation ein Teil der
Columbia-Universität ist, gibt
ihr die Möglichkeit, über ihr Programm frei zu entscheiden, frei von
Parteienproporz oder staatlicher Einflußnahme.
Cliff Preiss ist
einer der 30 Mitarbeiter der Jazzabteilung; er berichtet im nachfolgenden Interview mit Michael Frohne über die
Schwierigkeiten der Station und über die Unterschiede zu anderen,
kommerziellen Radios in den USA und staatlichen Radios (öffentlich-rechtlich
genannt) bei uns:
,,Zu den 66 Stunden, die uns
wöchentlich für das Jazzprogramm zur Verfügung stehen, spielen wir zu
besonderen Gelegenheiten, wie z. B. Geburtstagen von berühmten Jazzmusikern,
sogenannte Mini-Festivals. Von 5 Uhr morgens senden wir ein mehrstündiges
Programm mit der Musik eines Musikers. Im Juni war das letzte mit 16 Stunden
ununterbrochenem Jimmie Lunceford Big Band Jazz."
,,Sind das die bekannten
Festivals?"
,,Was uns so beliebt gemacht
hat, das sind jene Festivalprogramme, bei denen das Gesamtwerk eines Musikers
in chronologischer Reihenfolge präsentiert wird. Dazu kommen Interviews mit
den Musikern. Das längste Festival, das wir je hatten, war das über Louis
Armstrong. Es dauerte 250 Stunden, ca. 11 Tage, wobei es neben dem normalen
Programm an jedem Tag ausschließlich Armstrong-Musik mit Interviews gab."
,,Werden auch Musiker vom
Sender zu Interviews eingeladen?"
,,Ja.
Ich habe das Steve Lacy-Festival gemacht; 96 Stunden nur Lacy mit Interviews
mit Steve, Roswell Rudd, Charhe Rouse. Neben den Schallplatten haben wir auch
Privataufnahmen von Mal Waldron gespielt, Duo-Aufnahmen mit Lacy. Außerdem
haben wir das Konzert, das bei den Vereinten Nationen als Teil des
Anti-Apartheid-Programms stattfand, ausgestrahlt. Jeden Montagabend zwischen 6
und 9 Uhr senden wir Live-Sessions aus verschiedenen Clubs in New York. Wir
haben Verträge mit diesen Clubs, um bei ihnen aufnehmen zu können. Und was wir
noch machen, und was meiner Meinung nach keine andere Station regelmäßig macht:
Jeden Mittwoch kommt ein berühmter Musiker ins Studio
und stellt sein eigenes Programm zusammen. Er sucht sich Platten aus unserem
Archiv aus und kommentiert diese. In der letzten Woche war George Russell hier
und hat Musik von Miles Davis, Strawinsky, Debussy und Marvin Gaye
vorgestellt."
,,Verdienen die Leute, die
hier arbeiten, Geld?"
,,Alle, die hier arbeiten,
sind Studenten der Universität oder waren Studenten und verdienen kein Geld!
Lediglich in der Sommerferien, wenn die anderen Studenten Ferien haben, wird
ein Gehalt für der verkleinerten Stab gezahlt."
,,Woher kommt dann das Geld
für den Betrieb der Station und für das Material, die Bänder, die
Ausrüstung?"
,,Dies ist die Radiostation
der Universität und wir bekommen daher etwas Geld; leider seit 10 Jahren den
gleichen Betrag, obwohl der Dollar 1972 und 1982 zwei Paar Stiefel sind! Neben
erhöhten Reparaturkosten, Neuanschaffungen und gestiegener Inflationsrate
macht uns der Sender Schwierigkeiten. Bisher war es nicht nötig, die Hörer um
Geld anzubetteln, und mit der Drohung, nicht mehr zu senden, zu argumentieren.
Aber wir haben große technische Probleme. Diese werden wir mit dem Fundus
,Technical Difficulties' im August zu lösen versuchen. Wir verkaufen die
Programmvorankündigungen der Station, Discographien der Musiker und T-Shirts.
Hörer werden aufgefordert, Geld für die Ausrüstung zu spenden; daher stammt
auch ein großer Echte Alternative zum kommerziellen Radio.
Teil der Geräte, die du hier
siehst, die jetzt aber zum Teil 12 oder 15 Jahre alt sind. Eines unserer
Probleme ist, daß wir nur Mono senden können; eine Umrüstung auf Stereo würde
zu viel Geld verschlingen."
,,Können Sie einiges über das
übrige Programm berichten, das Sie machen?"
,,Wir denken, daß wir eine
echte Alternative zum kommerziellen Radio bilden, sowohl im Jazz als auch in
der Klassik oder auch mit der Ausstrahlung von ethnischer Musik aus allen
Volksgruppen, die hier in New York beheimatet sind. Wir senden indische Musik, jeden Samstag 2 Stunden ein Programm mit dem Titel ,Sounds of China' und ca. 16
Stunden Musik und Neuigkeiten aus Mexico, Haiti, Süd- und Mittelamerika. Wir
möchten auch diese Länder kulturell repräsentieren, anders als andere Stationen."
,,Gilt WKCR als eine Art
Sprungbrett für die Ansager oder die Techniker zu den kommerziellen
Radios?"
,,Nein, obwohl es einige
Leute gibt, die nach ihrer Studentenzeit und der unbezahlten Arbeit bei uns
den Sprung in die großen Radiostationen geschafft haben."
,,Seit wann gibt es WKCR, und hatten Sie am Anfang ungefähr das gleiche Programm oder haben sich da grundlegende Dinge geändert?"
,,Seit wann gibt es WKCR, und hatten Sie am Anfang ungefähr das gleiche Programm oder haben sich da grundlegende Dinge geändert?"
,,Das Jazzprogramm ist jetzt
der größte Programmteil, obwohl das im Gründungsjahr 1949 nicht so war. Wir waren
die erste Universitätsradiostation und haben fast ausschließlich über
schulische Vorkommnisse berichtet - neben etwas
Klassik und leichter Unterhaltungsmusik. Ende der 60er Jahre, in der Zeit der
Studentenunruhen, war die Station einer der lnformationspunkte für die
Studenten und die wollten keine seichten UnterhaltungsSchu-bi-du-Schnulzen
mehr hören, sondern John Coltrane und Eric Dolphy. Und was die
Schallplatten-Situation betrifft:
Können Sie sich vorstellen,
daß es damals genau zwei Charlie Parker-Scheiben zu kaufen gab? Da war es
geradezu revolutionär, daß wir ein Charlie Parker Festival zusammenbrachten! Es
machte uns welt-bekannt! Möglich war das nur mit den Mega-Kollektionen von
einigen Sammlem und unseren guten Verbindungen zu diesen Leuten, die manchmal
ihre Schellacks selbst ins Studio brachten und uns mit Argusaugen beim
Abspielen überwachten!"
,,Wie sieht das Programm der
öffentlichen Rundfunkstationen aus?"
,,Diese sind abhängig vom
Geld, das ihnen der Staat zur Verfügung stellt, und da bleibt aus dem
sogenannten ,Arts Fund' immer weniger Geld für den Jazz übrig. Auch eine Folge
des Regierungswechsels. Es scheint wichtiger zu sein, über das britische Drama
zu berichten und Opernaufnahmen von europäischen Sängern zu bringen, als auf
die einzige eigenständige Musik einzugehen, die Amerika je hervorgebracht hat.
Sämtliche öffentlichen Stationen haben sich geweigert, hier in New York ein
Konzert vom Art Ensemble of Chicago auszustrahlen, obwohl es vom National
Public Radio (NPR) veranstaltet worden war. Wir haben das natürlich gerne
gesendet."
,,Werden in Ihrer Station
auch der europäische Jazz und die Avantgarde berücksichtigt?"
,,Wir haben ein eigenes
Programm am Freitag von 6 bis 9 Uhr abends, in
dem Donald
Miller europäische lmprovisationsmusik von Peter Brötzmann über Stockhausen
zu Derek Bailey und seiner Company vorstellt und kommentiert. WKCR hat
außerdem die Koproduktion des ersten Company- Konzerts in den USA übernommen.
Auch das Lacy-Festival war eine gute Gelegenheit, europäische Formationen wie
das Globe Unity Orchestra kennenzulernen. So wird dieses Spektrum gut
abgedeckt. Leider sind Platten von Kagel, Stockhausen sowie die Acoustic-Serie
der Deutschen Grammophon oder WergoPlatten in den Schallplattenläden der USA
sehr schwer oder gar nicht zu bekommen. Wir sind auf die Firmen in Europa angewiesen
und möchten deshalb einen dringenden Appell an alle Avantgarde-Labels und
Eigenlabels richten, uns ihre Platten zuzuschicken. Unsere
Adresse ist:
WKCR, Columbia Universitv,
208 Ferris Both Hall NY, NY 10027."
Michael Frohne
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