Mittwoch, 8. April 2015

1982 war ich zum ersten und bis heute einzigen Mal in New York. Die grosse Demonstration mit mehr als 1 Millionen Menschen war der Anlass. In der folgenden Woche konnte ich mit Lee Konitz einige Konzerte sehen, war in ein paar Jazzschuppen in Stuyvesant Town, übernachtete in der Wohnung des Schlagzeugers Doug Hammond und machte für das Jazzpodium und für Radio Dreyeckland das nachfolgende Interview bei 

Radio WKCR In New York
66 Stunden Jazz wöchentlich

Unter den vielen Radiostationen in den USA und in New York hat WKCR auf 89.9 UKW sicher eine Sonderstellung. Neben Berichten über Rentenkontrollen in den USA, Atommülltransporten und die Ab­hängigkeit von den mexikanischen Öl­transporten nimmt der Jazz und die mo­derne Avantgarde-Musik einen großen Teil des ,,non-commercial"-Programms ein. Daß die Radiostation ein Teil der
Columbia-Universität ist, gibt ihr die Möglich­keit, über ihr Programm frei zu entschei­den, frei von Parteienproporz oder staatli­cher Einflußnahme.
Cliff Preiss ist einer der 30 Mitarbeiter der Jazzabteilung; er berichtet im nachfolgenden  Interview mit Michael Frohne über die Schwierigkeiten der Sta­tion und über die Unterschiede zu ande­ren, kommerziellen Radios in den USA und staatlichen Radios (öffentlich-recht­lich genannt) bei uns:
,,Zu den 66 Stunden, die uns wöchentlich für das Jazzprogramm zur Verfügung ste­hen, spielen wir zu besonderen Gelegen­heiten, wie z. B. Geburtstagen von be­rühmten Jazzmusikern, sogenannte Mini-Festivals. Von 5 Uhr morgens senden wir ein mehrstündiges Programm mit der Mu­sik eines Musikers. Im Juni war das letzte mit 16 Stunden ununterbrochenem Jim­mie Lunceford Big Band Jazz."
,,Sind das die bekannten Festivals?"
,,Was uns so beliebt gemacht hat, das sind jene Festivalprogramme, bei denen das Gesamtwerk eines Musikers in chro­nologischer Reihenfolge präsentiert wird. Dazu kommen Interviews mit den Musi­kern. Das längste Festival, das wir je hat­ten, war das über Louis Armstrong. Es dauerte 250 Stunden, ca. 11 Tage, wobei es neben dem normalen Programm an jedem Tag ausschließlich Armstrong-Mu­sik mit Interviews gab."
,,Werden auch Musiker vom Sender zu Interviews eingeladen?"
,,Ja. Ich habe das Steve Lacy-Festival gemacht; 96 Stunden nur Lacy mit Inter­views mit Steve, Roswell Rudd, Charhe Rouse. Neben den Schallplatten haben wir auch Privataufnahmen von Mal Wal­dron gespielt, Duo-Aufnahmen mit Lacy. Außerdem haben wir das Konzert, das bei den Vereinten Nationen als Teil des Anti-Apartheid-Programms stattfand, ausge­strahlt. Jeden Montagabend zwischen 6 und 9 Uhr senden wir Live-Sessions aus verschiedenen Clubs in New York. Wir haben Verträge mit diesen Clubs, um bei ihnen aufnehmen zu können. Und was wir noch machen, und was meiner Meinung nach keine andere Station regelmäßig macht: Jeden Mittwoch kommt ein berühmter Musiker ins Studio und stellt sein eigenes Programm zusammen. Er sucht sich Platten aus unserem Archiv aus und kommentiert diese. In der letzten Woche war George Russell hier und hat Musik von Miles Davis, Strawinsky, Debussy und Marvin Gaye vorgestellt."
,,Verdienen die Leute, die hier arbeiten, Geld?"
,,Alle, die hier arbeiten, sind Studenten der Universität oder waren Studenten und verdienen kein Geld! Lediglich in der Sommerferien, wenn die anderen Studen­ten Ferien haben, wird ein Gehalt für der verkleinerten Stab gezahlt."
,,Woher kommt dann das Geld für den Betrieb der Station und für das Material, die Bänder, die Ausrüstung?"
,,Dies ist die Radiostation der Universität und wir bekommen daher etwas Geld; lei­der seit 10 Jahren den gleichen Betrag, obwohl der Dollar 1972 und 1982 zwei Paar Stiefel sind! Neben erhöhten Repa­raturkosten, Neuanschaffungen und ge­stiegener Inflationsrate macht uns der Sender Schwierigkeiten. Bisher war es nicht nötig, die Hörer um Geld anzubet­teln, und mit der Drohung, nicht mehr zu senden, zu argumentieren. Aber wir ha­ben große technische Probleme. Diese werden wir mit dem Fundus ,Technical Difficulties' im August zu lösen versuchen. Wir verkaufen die Programmvorankündi­gungen der Station, Discographien der Musiker und T-Shirts. Hörer werden auf­gefordert, Geld für die Ausrüstung zu spenden; daher stammt auch ein großer Echte Alternative zum kommerziellen Radio.
Teil der Geräte, die du hier siehst, die jetzt aber zum Teil 12 oder 15 Jahre alt sind. Eines unserer Probleme ist, daß wir nur Mono senden können; eine Umrüstung auf Stereo würde zu viel Geld ver­schlingen."
,,Können Sie einiges über das übrige Pro­gramm berichten, das Sie machen?"
,,Wir denken, daß wir eine echte Alternati­ve zum kommerziellen Radio bilden, so­wohl im Jazz als auch in der Klassik oder auch mit der Ausstrahlung von ethnischer Musik aus allen Volksgruppen, die hier in New York beheimatet sind. Wir senden indische Musik, jeden Samstag 2 Stunden ein Programm mit dem Titel ,Sounds of China' und ca. 16 Stunden Musik und Neuigkeiten aus Mexico, Haiti, Süd- und Mittelamerika. Wir möchten auch diese Länder kulturell repräsentieren, anders als andere Stationen."
,,Gilt WKCR als eine Art Sprungbrett für die Ansager oder die Techniker zu den kommerziellen Radios?"
,,Nein, obwohl es einige Leute gibt, die nach ihrer Studentenzeit und der unbe­zahlten Arbeit bei uns den Sprung in die großen Radiostationen geschafft haben."
,,Seit wann gibt es WKCR, und hatten Sie am Anfang ungefähr das gleiche Programm oder haben sich da grundlegende Dinge geändert?"
,,Das Jazzprogramm ist jetzt der größte Programmteil, obwohl das im Gründungs­jahr 1949 nicht so war. Wir waren die erste Universitätsradiostation und haben fast ausschließlich über schulische Vorkomm­nisse berichtet - neben etwas Klassik und leichter Unterhaltungsmusik. Ende der 60er Jahre, in der Zeit der Studentenunru­hen, war die Station einer der lnforma­tionspunkte für die Studenten und die wollten keine seichten Unterhaltungs­Schu-bi-du-Schnulzen mehr hören, son­dern John Coltrane und Eric Dolphy. Und was die Schallplatten-Situation betrifft:
Können Sie sich vorstellen, daß es damals genau zwei Charlie Parker-Scheiben zu kaufen gab? Da war es geradezu revolu­tionär, daß wir ein Charlie Parker Festival zusammenbrachten! Es machte uns welt-bekannt! Möglich war das nur mit den Mega-Kollektionen von einigen Sammlem und unseren guten Verbindungen zu die­sen Leuten, die manchmal ihre Schellacks selbst ins Studio brachten und uns mit Argusaugen  beim  Abspielen  über­wachten!"
,,Wie sieht das Programm der öffentlichen Rundfunkstationen aus?"
,,Diese sind abhängig vom Geld, das ih­nen der Staat zur Verfügung stellt, und da bleibt aus dem sogenannten ,Arts Fund' immer weniger Geld für den Jazz übrig. Auch eine Folge des Regierungswech­sels. Es scheint wichtiger zu sein, über das britische Drama zu berichten und Opernaufnahmen von europäischen Sän­gern zu bringen, als auf die einzige eigen­ständige Musik einzugehen, die Amerika je hervorgebracht hat. Sämtliche öffentli­chen Stationen haben sich geweigert, hier in New York ein Konzert vom Art Ensem­ble of Chicago auszustrahlen, obwohl es vom National Public Radio (NPR) veran­staltet worden war. Wir haben das natür­lich gerne gesendet."
,,Werden in Ihrer Station auch der euro­päische Jazz und die Avantgarde berück­sichtigt?"
,,Wir haben ein eigenes Programm am Freitag von 6 bis 9 Uhr abends, in dem Donald Miller europäische lmprovisations­musik von Peter Brötzmann über Stockhausen zu Derek Bailey und seiner Com­pany vorstellt und kommentiert. WKCR hat außerdem die Koproduktion des er­sten Company- Konzerts in den USA über­nommen. Auch das Lacy-Festival war ei­ne gute Gelegenheit, europäische Forma­tionen wie das Globe Unity Orchestra ken­nenzulernen. So wird dieses Spektrum gut abgedeckt. Leider sind Platten von Kagel, Stockhausen sowie die Acoustic-Serie der Deutschen Grammophon oder Wergo­Platten in den Schallplattenläden der USA sehr schwer oder gar nicht zu bekommen. Wir sind auf die Firmen in Europa ange­wiesen und möchten deshalb einen drin­genden Appell an alle Avantgarde-Labels und Eigenlabels richten, uns ihre Platten zuzuschicken.  Unsere  Adresse  ist:
WKCR, Columbia Universitv, 208 Ferris Both Hall NY, NY 10027."  

Michael Frohne

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen